Von Linz nach Wien
Donnerstag, 08. März 2012
Nach einem herrlichen Sonnentag in Linz, den wir allerdings im McDonalds mit dem Updaten unserer Berichte verbracht haben, brechen wir am Donnerstag Mittag bei Regen in Richtung Wien auf. Wir haben wirklich ein Talent dafür entwickelt, die Pausentage in den Städten so zu legen, dass es ein Sonnen- und Sonntag ist. Da der Tag schon recht weit voran geschritten ist, beschliessen wir, kurz nachdem wir die städtische Gegend um Linz hinter uns gelassen haben, auf einer
Wiese neben dem Donauwall unser Zelt aufzuschlagen.
Freitag, 09. März 2012
Nachdem ich gestern Abend zum ersten mal das Pfefferspray verkrampft umklammert habe, weil in der Dunkelheit ein Spatziergänger mit seinem Hund um unser Zelt gestiefelt ist, wollen wir heute unsere ersten 100 Kilometer an einem Tag fahren. Diese magische Zahl ist ein Wert, dem man immer wieder begegnet, wenn man durch verschiedenste Internetseiten von Fernradlern stöbert. Hundert Kilometer im Durchschnitt. Das müssen wir doch auch mal schaffen. Momentan liegt unser “Durchschnittswert” bei etwa der Hälfte. Und es liegt nicht daran, dass wir zu langsam fahren. Sondern eher, weil wir ständig anhalten. Mal machen wir einen Stopp am Supermarkt oder an der Tankstelle, immer wieder finden sich Orte oder Szenerien, die fotografiert oder gefilmt werden möchten, mal lässt einen der Hunger stoppen oder man trifft Menschen, mit denen man sich eine Weile unterhält. So auch ein Pärchen, auf welches wir an diesem Tag vier mal stoßen. Timm springt kurz in den Baumarkt, um etwas zu besorgen. Das pensionierte Pärchen kommt mit Cityrollern auf mich zu und bleibt neugierig stehen. Wir unterhalten uns eine Weile, sie geben mir Tipps für den weiteren Streckenverlauf.
Wir entdecken ein kleines Dorf mit idealer Zeltwiese und wollen um Rasterlaubnis fragen. Doch wer ist bei den Temperaturen um diese Uhrzeit schon auf der Strasse? Richtig – Niemand. Während ich überlege, an welcher Türe wir klingeln könnten, um zu fragen, höre ich Timm`s Stimme hinter mir: “Grüß Gott. Wäre es möglich, dass wir heute Nacht unser Zelt auf der Wiese aufschlagen?” Wir dürfen! Schnell spricht sich unsere Anwesenheit in dem kleinen Ort herum und als wir uns gerade mit einer heißen Linsensuppe und Würstchen in unser Haus aus Stoff verkrümmeln wollen kommt eine dunkle Gestalt auf uns zu. “Hallo, ihr seid ja verrückt! Im Sommer zelten sie ja öfter mal hier. Aber um die Jahreszeit! Hier habe ich heißes Wasser und Tee für euch.” Sie drückt uns zwei Plastikboxen in die Hand. “Und falls ihr sonst irgend etwas braucht, sagt bescheid!” Wir verquatschen uns ein wenig. Während die Linsensuppe vor sich hin dampft, erzählt sie uns auch, dass die Radfahrer im Sommer schon sehr anstrengend werden können. “Die machen hier Urlaub und meinen die Strasse ist einzig für sie gemacht! Dass es aber der einzige Weg ist, zu unseren Häusern zu kommen, ist ihnen oft nicht bewusst.” Wir sind froh, abseits der Hauptsaison zu fahren, die Strecke in Ruhe genießen zu können und von den Leuten nicht als Teil einer radelnden, touristischen Masse angesehen zu werden. Hungrig machen wir es uns im Zelt bequem. Als wir eine der Plastikboxen öffnen, erwartet uns noch eine Überraschung: Selbstgemachter Kuchen und Kekse! Das klingt für euch wahrscheinlich gar nicht so besonders. Für uns war es in diesem Moment eine wahre Wohltat! Genüßlich verzehren wir die Leckereien und freuen uns über so viel Herzlichkeit und Gastfreundschaft!
Samstag, 10. März 2012
Timm: Wir fahren mal wieder an der Donau entlang und ich bekomme fast schon das Gefühl, dass sich so Etwas wie Alltag einschleicht. Der Mp3-Player plätschert vor sich hin, die Kilometer und die Donau ebenfalls. Als plötzlich am Horizont ein Punkt auftaucht, der so aussieht wie wir. Spinn’ ich? Fahrradfahrer haben wir ja trotz Jahreszeit ab und zu schon getroffen, aber Einer der so schwer beladen ist? Ich werde langsamer, ziehe mir die Stöpsel aus den Ohren. Mein Grinsen wird breiter mit jedem Meter, den wir uns nähern. Verdammt, das ist ein Weltenbummler! “Wo kommst du denn her?” frage ich lachend. Er gibt mir zu verstehen, dass er kein deutsch spricht. Aus England kommt er. Wir mustern uns gegenseitig. Irgendwie sieht er doch nicht so aus wie wir, denke ich und frage, wie lange er schon unterwegs ist. 4 Jahre. 80.000 Kilometer. Lorena und mir fallen die Kinnladen runter. Wow! Ich hatte die Tage zuvor schon mit Sorgen den Verschleiss einiger unserer Teile beobachtet, aber Matt zeigt uns, wie wir in einem Jahr aussehen könnten. Locker bleiben. Er erzählt, dass Bine und Uli aus Wien uns schon erwarten und er schon über uns bescheid weiß! Das Wiener Pärchen hatten wir ein paar Tage zuvor über die Internet-Plattform Warmshowers.org angeschrieben. Es ist wie Couchsurfing für Radfahrer. Allerdings hatten wir seitdem keinen Zugang zum Internet und bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, ob wir einen Übernachtungsplatz bekommen. Wir müssen Lachen, das Matt vor uns darüber Bescheid weiß und die Welt doch so klein ist. Ich komm aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Es gibt so Viel, was ich ihn fragen möchte, habe aber Angst, dass er nach 4 Jahren schon müde vom Erzählen ist. Eine Stunde stehen wir dann aber doch auf dem Weg und tauschen begeistert unsere Erfahrungen und Adressen aus. Beziehungsweise teilt er uns seine Erfahrungen mit und wir lauschen. Das Grinsen bleibt für den Rest des Tages.
Es ist schon merkwürdig. Man fährt den ganzen Tag an den schönsten Plätzen vorbei, um sein Zelt aufzuschlagen. Eine kleine Bucht an der Donau mit eigenem Sandstrand. Eine wunderschöne Lichtung mit einem idyllischen See im Hintergrund. Weit und breit Nichts als Natur. Aber wenn es dann allmählich Abend wird und man wirklich Ausschau hält, befinden wir uns meistens mitten in einer dichtbesiedelten Wohngegend oder der Radweg verläuft zwischen einer Bundesstrasse und einer Zugstrecke. So auch an diesem Abend. Es ist Samstag, was bedeutet, dass in den kommenden Morgenstunden des Sonntags zahlreiche Spaziergänger an unserem Zelt vorbei pilgern werden. Also nichts mit einer ruhigen Nacht, welche ich aber dringend nötig hätte. Wir entschliessen uns, den im Radwegführer ausgeschriebenen Campingplatz aufzusuchen, finden aber nur eine Baustelle mit zugehöriger Wiese vor: “Camping ab 01. April.” Ja klar, wer will schon in dieser Jahreszeit campen. Bei einem kleinen Restaurant, vor dem sich auch ein Wohnmobilstellplatz befindet, fragen wir um einen Zeltplatz an. “Moment, der Chef kommt gleich. Er ist Polizist und weiß genau, wo man campen darf und wo nicht!” Na toll, denke ich mir. Mit Wildcampen wird das dann heute auch nichts mehr, nachdem wir nun so auf uns aufmerksam gemacht haben! Wider meiner Erwartung dürfen wir aber auf dem kleinen Wiesenstück unser Zelt aufschlagen und werden mit Gastfreundschaft überhäuft. Für uns wird dieser Aufenthalt ein wahrer Luxus. Wir dürfen die Toilette benutzen, es gibt für uns eine Bank und Stühle, eine exklusive Feuerwehrübung im Zuge eines Kindergeburtstages der Feuerwehr Rossatz und zu guter Letzt: WLAN! Nachdem wir Stunden damit verbringen in den größeren Städten ein freies W-Lan zu finden, sitzen wir nun auf einer Wiese in der Dunkelheit und skypen mit der Familie.
Sonntag, 11. März 2012
Die Beine schmerzen als wir aufstehen. Es ist einer der Tage, wo man das Gefühl hat, eigentlich überhaupt keinen Meter fahren zu können. Nach Wien sind es knapp 90 Kilometer. Halleluja! Und es ist stürmischer Wind und Regen angesagt. Das kann ja nur ein toller Tag werden. Einziger Lichtblick: Wir werden heute unsere ersten tausend Kilometer gefahren sein.
Timm: Als das Ereignis dann endlich eintritt, hält sich die Begeisterung allerdings in Grenzen. Die Vorfreude auf diesen Moment war weit spannender, als der Zeitpunkt, indem der Zähler dann tatsächlich umspringt. Ernüchtert machen wir eine kurze Mittagspause an der “Jubiläumsstelle”. Für einen kurzen Augenblick ist es windstill und ich baue den Kocher verträumt direkt auf dem Damm auf. Gerade, als die Flamme Betriebstemperatur erreicht, peitschen uns wieder die Böen um die Ohren. Frustiert über meine eigene Verpeiltheit kauer ich über den Kocher gebeugt auf dem Boden und halte krampfhaft den Windschutz fest. Lorena sitzt im Windschatten eines kleinen Kontroll-Häuschens und schaut mir belustigt zu.
Wir treten weiter in die Pedale, kommen aber bei Weitem nicht so gut voran wie gestern. Vielleicht ist es diese Gewissheit und der Druck, den man sich macht unbedingt an diesem Tag die neunzig Kilometer bewältigen zu wollen, welche einem die Strecke schier endlos erscheinen lassen. Wir stecken uns unsere MP3-Player in die Ohren und lassen unsere Gedanken schweifen, während wir die immer gerade, ebene Donau-Strecke entlangrollen ohne einem Menschen zu begegnen.
In der touristisch perfektionierten Stadt Tulln (sie bietet wohl Alles vom Badesee mit Wasserrutsche, über eine Mountainbikestrecke durch einen schön geplegten Stadtpark bis hin zum überdimensionalen Yachthafen mit Wasserbühne) machen wir eine kurze Pause am Nibelungendenkmal und tun das, was wohl alle Touristen dort tun.
Als ich bei der Weiterfahrt auf der schnurrgeraden Strecke gerade überlege, ob es möglich ist ein Buch während der Fahrt zu lesen, erleben wir unseren ersten richtigen Regenschauer. “Das kann man jetzt schon als Regen bezeichnen oder?” fragt Timm. Und ich schreie zurück: “Jaaa!”, in dem Moment als der vorherige Rückenwind in eine nasse Böe von der Seite umschwingt. Unsere Kleidung tut ihren Dienst gut – wir sehen darin aus, als könne man uns komplett ins Wasser werfen, ohne dass wir in irgendeinster Weise nass würden – und wir erreichen mit trockener Haut die Vororte Wiens. Sie erinnern uns an amerikanische Vorstädte. Meist sind es kleine Ferienhäuser, die auf Säulen gebaut sind, um sich vor dem Hochwasser zu schützen. Entlang Graffiti bemalter Mauern fahren wir in Wien ein. Ein über und über mit Reflektoren und Blinklichtern ausgestatteter Radfahrer – nicht zu vergessen die neongelbe Warnweste – begrüßt uns am Donaukanal und erklärt uns liebenswert, wie wir uns im Wiener Strassenverkehr zu verhalten haben: “Fahrt nicht zu weit rechts und lasst euch nicht von den Autos abdrängen!” “Ja, ja”, denke ich mir. Befolge den Rat im dichten Verkehr Wiens dann aber doch. Ob es nun Absicht ist oder Zufall: Durch ein längeres Hin- und Herfahren auf der Suche nach der richtigen Hausnummer springt unser Tages-Kilometerzähler just in dem Moment als wir vor der gesuchten Türe stehen auf 100,00. Ha! Und da haben wir es doch noch geschafft. Völlig erschöpft kommen wir um halb acht bei Bine und Uli an und sind froh, dass der Aufzug unsere bepackten Räder in den sechsten Stock befördert und nicht wir.
Das Erlebte auf der Reise war bisher noch sehr vertraut. Man spricht die gleiche Sprache. Man weiß, wo man einkaufen gehen kann und vor Allem, was man einkauft. Es war wie ein Vorbereiten auf Alles, was noch kommt. Wien ist für mich wie eine letzte Station, bevor es wirklich los geht. Auf in die Slowakei!