Internationaler Austausch
Bald erreichen wir Serbien. Gestern haben wir festgestellt, dass wir keinerlei Kartenmaterial für den serbischen Donauabschnitt haben. Improvisation oder nach der Grenze irgendwo eine Karte besorgen. Die Stadt Baja ist unser letzter größerer Anlaufpunkt auf der ungarischen Seite. Die Strecke dorthin verläuft geradlinig auf dem Donaudamm entlang. Am Horizont taucht ein Punkt auf, welcher sofort unsere volle Aufmerksamkeit hat. Das kann doch nicht schon wieder ein Weltenbummler sein? Doch tatsächlich: Ein Mann auf einem voll bepackten Fahrrad! Er springt uns entgegen und drückt uns bevor wir irgend etwas sagen können eine Karte von Serbien in die Hand! Kann das Zufall sein? „Where are you from?“ Jean-Claude ist Franzose und kommt gerade aus Pakistan zurück. Er verkörpert wohl den „typischen“ Weltreisenden: Die Haut zeigt deutliche Spuren der Sonne. Er wirkt fast ein bisschen verstreut und erinnert an Tom Hanks aus “Cast Away”, fasziniert jedoch mit einer geballten Ladung Lebensenergie. Es scheint, als wäre das Leben für ihn völlig umkompliziert. Vielleicht die französische Gelassenheit? So verspürrt man bei ihm kein Gefühl der Frustriertheit, als er uns erzählt, er wollte eigentlich ebenfalls bis China reisen, wurde jedoch an der Grenze zu Pakistan zurückgewiesen. Also drehte er um. Der Weg und das Reisen an sich sind für ihn bedeutsam und eine Art Lebensphilosophie. So arbeitet er drei Monate im Jahr als Fotograf. Den Rest der Zeit verbringt er irgendwo in der Welt auf seinem Fahrrad.
Kennt ihr das, wenn man auf eine Ameisenstrasse ein kleines Stück Brot wirft und an dieser Stelle ein riesiger Stau entsteht? So ähnlich verlief die Situation auch. Wir treffen Jean-Claude und halten an. Plötzlich stehen neben uns zwei deutsche Lehrerinnen, die in Baja unterichten und gesellen sich dazu und so entwickelt sich das kleine Wegstück an der Donau zu einem wahren Meeting Point. Ein Austausch über Land und Leute, Mentalität, kurzer Lebensgeschichten, Routenberatung und gleichzeitigem Sprachunterricht.
Geld loswerden
Zehn Kilometer vor der Grenze. Wir kratzen alles an ungarischen Forint aus unseren Taschen zusammen was noch übrig ist und kommen auf knapp 6000 HUF. Das sind umgerechnet etwa zwanzig Euro. Wir machen einen kleinen Abstecher mit der Fähre auf die andere Donauseite nach Mohács, um es auf den Kopf zu hauen. Entweder wir kaufen eine große Menge Lebensmittel oder wir gönnen uns einen Restaurantbesuch. Die Entscheidung fällt auf Zweiteres, da es ja auch dazu dient die ungarische Küche kennen zu lernen (auch wenn wir uns gerade kurz vor der serbischen Grenze befinden). Wir fragen uns durch und landen in einer kleinen netten Pizzeria, wo wir die regional typische Halászle probieren. Eine Suppe, rot und würzig in der ein Karpfen schwimmt. Dazu gibt es Nudeln. Testurteil: Gut, jedoch nicht ausreichend, um in die Liste der absoluten Leibspeisen aufgenommen zu werden. Da wir nicht wiederstehen konnten, haben wir für das Essen so viel ausgegeben, dass nur noch das Geld für die Rückfahrt mit der Fähre bleibt. Der geplante Einkauf fällt somit aus. In Serbien gibt es ja auch Geschäfte. Verhungern werden wir schon nicht. Als wir gerade aufbrechen wollen, steht plötzlich Julian neben uns. Er kommt aus Wales und fährt mit seinem Rad entlang der Donau bis nach Istanbul. Jedoch will er statt auf der serbischen die kroatische Seite entlang fahren. Inspiriert von Julian entscheiden wir uns spontan ebenfalls dazu. Kaufen mit den letzten 1000 HUF – die eigentlich für die Fährüberfahrt gedacht waren – Proviant, um dann einen Tag bargeldlos in Kroatien zu überleben und dann erst die Grenze Serbiens zu passieren. So beginnt unser kleiner Kurztrip…
Ein Tag Kroatien
Und wieder einmal findet sich kein Schlafplatz. Der einzige Weg der scheinbar in Richtung Natur und Einsamkeit führt, wird von einem wirklich übel drein schauenden Hund versperrt, der seine Schafe beschützen will. Also erklimmen wir mit letzter Kraft einen Berg (eigentlich war es ein Hügel) und ich wünsche mir vom Universum, dass dahinter ein landschaftliches Paradies auftaucht, mit einem Haufen idyllischer Schlafplätze! Das Paradies taucht auf! Allerdings auf der Seite des Berges, die wir gerade hinauf gefahren sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass genau der Weg, der von dem Hund blockiert wurde, dorthin geführt hätte. Natur wohin das Auge reicht! Auf der anderen Seite zeigt sich die Donau in ihrer vollen Pracht. Jedoch stehen überall Häuser. Die kroatische Grenze auf der einen, die serbische Grenze auf der anderen Seite. Eine Vielzahl von Apfelplantagen, die allerdings von ihren Besitzern fein säuberlich eingezäunt wurden. Also immer weiter in Richtung Donau, vielleicht findet sich dort doch noch ein nettes Plätzchen. Ein freundlicher Kroate schickt uns zur „Zelenilo otok“ – der Grünen Insel! Das klingt nach Idylle! Auf dem Weg dorthin, kommen uns gleich zwei Wagen der Grenzkontrolle entgegen und ich fühle mich wie ein gesuchter obdachloser Schwerstverbrecher auf Verstecksuche. Die Insel, die in meinen Vorstellungen grün und verlassen war, ist besetzt von größtenteils leer stehenden, kleinen Ferienhäusern. Um eines ist ein Band gewickelt „Stopp! Polizei!“ Die Zellen in unserem Gehirn, die für Verschwörungstheorien zuständig sind formieren sich, um eine neue spektakuläre Geschichte zu dieser Beobachtung zu erfinden. (Eines unserer liebsten Hobbies auf der Reise.) Ohne genaues Ziel fahren wir immer weiter. „Bestimmt Droggenschmuggel!“ ruft es in meinem Kopf. Hinter einem Häuschen, am Donauufer, legen gerade drei Männer mit einem Boot an. „Das sind sie!“ ruft die Stimme in meinem Kopf. Sei still, denke ich und wir gehen auf die drei Gestalten zu. „Do you speak English?“ Eine interessante Truppe die Drei. Einer ist groß, rothaarig mit Vollbart. Dem Anderen sieht man auf den ersten Blick an, dass er schon ein paar Sliwowitz zu viel hatte und dann ist da noch einer, etwa in unserem Alter welcher in perfektem Englisch antwortet: „Of course!“. Die Drei laden uns zu Bier und dem selbstgefangenen Fisch ein. Es ist ein wirklich schöner Abend mit den Dreien, die verschiedener nicht sein können. Der stark alkoholisierte „Simba“ (das ist sein Spitzname und wahrscheinlich nicht richtig geschrieben!) ist angeblich sogar auf kroatisch kaum noch zu verstehen und sein Englisch-Wortschatz reicht gerade für: “United Colors of Benetton” und “Forever Young”, was uns herzlich zum Lachen bringt. Der Rothaarige, mit dem Spitznamen „Kollege“, welcher während er die Fische ausnimmt stillschweigend zuhört. Später erfahren wir, dass er eigentlich auch etwas Englisch spricht. Der aufgeschlossene Ivan ist Englisch- und Geschichtslehrer und informiert uns über Kultur, Historie und gesellschaftliche Zusammenhänge der Region. Aber wir sprechen auch über persönliche Dinge, wie das Interesse für das Reisen oder Probleme mit der Arbeitslosigkeit. Um Mitternacht fahren die Drei nach Hause und wir sind allein auf der Insel, beobachten noch eine riesige Sternschnuppe und kuscheln uns dann ins Zelt, welches butterweich auf dem frisch gemähten Rasen steht.