The Bear and the Fox
Es ist fast schon Gewohnheit, dass wir es uns zum Frühstücken im Vorzelt von Mike (gesproch. Micki) und Dan gemütlich machen. Was bei dem anhaltenden Regen wesentlich angenehmer ist, als in unserem kleinen Zelt zu kauern. Sie unterschreiben auf unserem T-shirt mit the Bear and the Fox, was optisch auch ganz gut auf sie zutrifft. Die Beiden bemuttern und bevatern uns wo sie nur können und es gibt ein herrliches Oster-Frühstücks-Buffet. Mike führt uns in die rumänischen Osterbräuche ein, die hier unserer Meinung nach mehr Bedeutung für die Menschen haben, als in Deutschland. Wahrscheinlich bekommt man aber auch ein anderes Bewusstsein dafür, wenn man den nötigen Abstand zum Bekannten hat und mit Neuem und Fremdem konfrontiert wird. Eine schöne Geste ist zum Beispiel, dass man die Ostereier nicht einfach vertilgt, sondern man sie sich gegenseitig “anschlägt” und etwas auf Rumänisch sagt, was so viel heißt wie “Gott sei mit dir!” Dan kommt plötzlich auf die Idee, dass sie uns und die Räder bis nach Bucarest in ihrem Wohnwagen mitnehmen können. Timm und ich schauen uns an und entscheiden, dass dies kein allzu schlechter Plan ist. Wir hatten sowieso mit dem Gedanken gespielt ab Bucarest eine Zugverbindung zu nutzen, um die Zeit, die wir in den Karpaten verbracht haben wieder aufzuholen. So werden am Ostermontag die Fahrräder und unser Gepäck – nicht ganz nach deutschen Idealvorstellungen – am Wohnwagen verschnürt und verzurrt und wir brechen auf in Richtung der rumänischen Hauptstadt. Leider, denn wir wären gerne noch ein paar Wochen länger in Herculane geblieben!
Dan führt ein Limousinen-Unternehmen in Bucarest und der Mercedes, in dem wir nun äußerst komfortabel reisen, ist das Flaggschiff seiner Flotte. Ein Auto mit deutscher Vergangenheit: Angeblich war Boris Becker der Erstbesitzer. Dieser ist mit dem Mercedes nach Rumänien gefahren und hat ihn dort dem rumänischen Tennisstar Nastase geschenkt, welcher aber für so einen gepanzerten Mercedes keine Verwendung fand und ihn an Dan verkaufte.
Kurz nach dem Staudamm des Eisernen Tores machen wir eine Pause auf einem Schiff, welches als Restaurant dient. Zum Glück entscheiden wir uns zum zweiten Mal die Fischsuppe zu probieren und müssen feststellen, dass sie hier deutlich besser schmeckt als in dem Restaurant in Ungarn. Um uns bei den Beiden zu revanchieren, beschließen wir sie einzuladen. Dan ist irritiert und gesteht, dass er sich gar nicht erinnern kann, wann er das letzte Mal eingeladen wurde. Doch sie nehmen unsere Einladung dankend an. Eigentlich dachten sie wir würden “The German Way” bezahlen: Dan, der durch seinen Beruf mit Menschen verschiedenster Nationalität zu tun hat, erzählt, dass den Deutschen der Ruf anhängt, Rechnungen grundsätzlich zu teilen. Und wenn ich das so überdenke, habe ich während meiner Zeit in der Gastronomie tatsächlich einige Zeit damit verbracht Rechnungen in verschiedensten Variationen neu zu addieren: “Die Getränke übernehmen wir, das Essen zahlt jeder selbst.” “Ich zahle eine halbe Wasserflasche.” Oder Ehe-Paare, bei denen dennoch jeder seinen Teil selbst übernimmt. The German Way eben. So kommt es laut Dan auch nur bei den deutschen Kunden vor, dass ein Shuttletermin für exakt 13.55 Uhr gebucht wird. Und so lernt man im Ausland eine Menge über sich selbst…
Über das Reisen mit dem Auto…
Die Fahrt nach Bucarest zieht sich, da die Straßen hier nicht besonders gut ausgebaut sind und der Verkehr aufgrund des Oster-Wochenendes besonders stark ist. Man reist zwar schneller, als mit dem Fahrrad, dennoch kommt es mir wesentlich länger vor. Man erlebt Nichts, die Landschaft zieht in kurzlebigen Bildern an einem vorbei und man sitzt über Stunden starr auf seinem Platz. Timm und mir ist zwischenzeitig etwas übel. Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir diese rasante Reise-Geschwindigkeit von über 100km/h nicht mehr gewohnt sind. Dennoch ist die Fahrt sehr interessant und uns wird trotz allem nicht langweilig, da man Dan als wandelndes Lexikon bezeichnen kann. Er erzählt gerne und viel und weiß eine Menge über Rumänien, die zugehörigen Leute und allerlei Anderes zu erzählen. In brilliantem British English. Irgendwie herrscht ein sehr vertrautes Gefühl zwischen uns und den Beiden. So müssen wir besonders herzlich lachen, als wir uns unsere gegenseitigen “Verschwörungs-Theorien” beichten. So gestehen Dan und Mike, dass sie sich nicht sicher waren, ob es gut ist “Hitchhiker” mitzunehmen, doch wenn wir vorgehabt hätten, sie auszurauben oder zu töten, es wahrscheinlich schon längst getan hätten. So sind sie inzwischen zu dem Schluß gekommen, dass wir wohl keinerlei kriminelle Absichten haben und nicht vorhaben ihnen ihre IDs zu entwenden. Timm hatte sich ebenfalls Gedanken zur “Gegenpartei” gemacht, als wir beide an einer Raststätte auf Toilette waren, während Dan und Mike mitsamt all unserer Sachen – inklusive der Pässe und Geld – draussen im Caravan gewartet haben. Und als Dan uns auf dem Campingplatz in Herculane den Rotwein auf den Tisch stellte, dachte ich beim Trinken an Schlafmittel, Gift und Drogen. Nach der im Nachhinein völlig absurden und sehr amüsanten Beichtstunde bietet uns Dan an, im Falle, dass wir keine Unterkunft finden, eine Nacht in ihrem Haus zu verbringen.
Zigeuner
Ich erinnere mich, dass ich als kleines Mädchen zu Fasching einmal als Zigeunermädchen verkleidet war. Ich habe das Kostüm geliebt. Goldene, lange Ohringe und bunte, faszinierende Kleider. Wahrscheinlich assoziieren die Meisten so wie ich das Wort “Zigeuner” mit einem geheimnissvollen, reisenden, Zirkusähnlichen Volk. In Rumänien zeigt sich uns eine andere, überraschende Realität. Es herrscht ein schwieriger Konflikt zwischen den “heimatlosen” Menschen (Roma, genannt Gypsies aus dem Englischen) und den Rumänen. Sie leben abgeschottet, gelten als unehrlich und faul mit kriminellen Absichten. Beinahe jeder Rumäne hält uns vor, sich ja vor diesen Leuten in Acht zu nehmen. Wir bekommen den Eindruck, dass die rumänische Bevölkerung sich unbedingt von den Roma abgrenzen will, die ihrer Meinung nach den Ruf des Landes beschmutzen. Dan erzählt uns, es bestehe ein richtiges kriminelles System, mit Anführern, die in bestimmten Gegenden in wahren Palästen residieren. Die meisten Roma haben keine ID, so ist es für die Polizei nahezu unmöglich, juristisch gegen kriminelle Machenschaften vorzugehen. Sehr erschreckend ist es, dass manche Rumänen sogar einige Theorien der NS-Zeit als richtig betrachten. Wir fragen uns, wie soll Jemand nicht kriminell sein, wenn ihm keine andere Chance geboten wird, sich in das “normale” Leben zu integrieren? Bei uns macht sich ein großes Interesse breit, den Konflikt einmal aus der anderen Perspektive zu betrachten. Gleichzeitig sind wir auch ein wenig eingeschüchtert, durch die vielen Warnungen uns vor diesen Menschen in Acht zu nehmen.
Unsere rumänische Familie
Aus einer Übernachtung werden drei. Wir haben in dem selbstentworfenen Holzhaus am See unser eigenes kleines Zimmer mit einem fantastischen Ausblick auf Bucarest. Dan hält es für unnötig, dass wir noch einmal umziehen und lädt uns ein, die Zeit, die wir in Bucarest bleiben möchten, bei ihnen zu verbringen. Als dann auch noch ein ordentlicher Sturm aufkommt, verbietet er uns beinahe schon am zweiten Tag aufzubrechen. Und so bleiben wir und fühlen uns unter diesen herzlichen Menschen pudelwohl. Dan´s Sohn Mihai, der etwa in unserem Alter ist, ist mit seiner frisch vermählten Frau Andreea zu Besuch. Es macht Spaß sich mit den Beiden auszutauschen. Sie haben zwei Jahre in England verbracht und so lernen wir nicht nur Einiges über die rumänische, sondern auch die englische Kultur aus rumänischer Sicht. Es ist köstlich ihnen zuzuhören, wenn sie fast schon Kabarett ähnlich von ihren Erfahrungen in dem zu Rumänien wohl absolut gegensätzlichen Land erzählen. Wir begleiten die Beiden in die Stadt und erleben wie in Rumänien die Miete “eingetrieben” wird. Wie man seinen Ausweis von den Behörden abholt. Wie man in Bucarest einen Parkplatz findet und Verkehrsregeln wohlwissentlich einfach missachtet.
Abschied
Dan will uns eigentlich noch nicht gehen lassen, da das Wetter immer noch nicht das Beste ist. Doch wir wollen weiter. Ansonsten hätte unsere “Auto-Zeit-Aufhol-Aktion” ihren Sinn verfehlt. So brechen wir in Begleitung von Mike, Mihai und Andreea, die langsam im Auto mit Warnblinkanlage vorweg fahren, in Richtung Constanta am Schwarzen Meer auf. Sie empfehlen uns die “Ring-Road” als besten Weg aus der überfüllten Stadt heraus. Ein letztes Mal Winken bevor wir auf die Abbiegespur auffahren. Ich weiß nicht, ob ich zu ängstlich bin, aber die Strasse ist der Horror! Zwischen der Leitplanke aus Beton und uns riesig erscheinenden LKW arbeiten wir uns bei starkem Verkehr Meter für Meter vorwärts. Der Straßenrand ist staubig und so sind wir nach wenigen Minuten “paniert”. Konzentriert fahren wir auf dem weissen Makierungsstreifen, um einer Kollision zu entgehen. Wir haben gerade einmal einen Meter Platz. Und so bleibt uns auch nichts Anderes übrig, als über das bereits plattgefahrene, kaum noch als Hund erkennbare Tier zu rollen, was plötzlich vor uns auftaucht *dudumb* *würg*… Verlassen können wir die Strasse dummerweise nicht, da wir mit Dan auf halber Strecke verabredet sind. Wir haben unser GPS-Gerät in seinem Auto liegen lassen und so fängt er uns ab, um uns das verlorengeglaubte Gerät zu überreichen. Endlich taucht dann der schwarze Mercedes auf! Eine kurze wohltuende Entspannungspause für die Nerven, ein letztes Foto mit unserem “Ersatz-Papa” Dan, eine Umarmung. Dann geht es weiter. Dan geleitet uns noch einige Kilometer und hält uns so den Rücken frei. Über eine Sprechanlage, wie aus Miami Vice, navigiert er uns aus der Stadt heraus. Sogar den Angriff zweier Hunde, die gefährlich nahe an Timms Wade kommen, wehrt er erfolgreich durch lautes Hupen ab. Da Dan uns leider nicht bis nach China begleiten kann, zieht der Mercedes irgendwann schließlich an uns vorbei. Ein letztes Winken und dann wird er kleiner und kleiner und wir sind wieder allein…