KAPITEL 27: ÇAY UND MEE(H)R
TÜRKEI - BLACK SEA

Zurück an der Küste. Der traumhafte Schlafplatz macht Lust auf meer...

Zurück an der Küste. Der traumhafte Schlafplatz macht Lust auf meer...


Kitschig aber schön: Sonnenuntergang

Kitschig aber schön: Sonnenuntergang

Çay und Mehr

Wort des Jahres: Schlafplatzsuche! Treue Leser unserer Berichte werden uns wohl zustimmen. Die Schlafplatzsuche ist ein immer wieder auftauchendes Thema und auch heute müssen wir mal wieder etwas länger darauf eingehen: Timm kommt zu dem Entschluss, dass die Türken zwar überaus freundlich sind und einen wahnsinnig oft zum Tee einladen, bedauert jedoch, dass die Einladungen meist nicht darüber hinaus gehen und man so nur schwer einen Einblick in die türkische Kultur bekommt. Ich weiß nicht, wen er genau damit provoziert hat. Aber Irgendwer fühlt sich aufgrund dieser Aussage in der türkischen Ehre angegriffen und herausgefordert.



Timm testet den Liegekomfort der Wiese. Passt!

Timm testet den Liegekomfort der Wiese. Passt!


Schlafplatz am Meer: die Zweite.

Schlafplatz am Meer: die Zweite.

Der Weg ist das Ziel

Zumindest meistens. Heute jedoch ist unser Ziel nicht der Weg, sondern ein Schlafplatz. Schon seit Kilometern fahren wir entlang der verbauten Küste. Jedes Haus ist mindestens vierstöckig, wovon aber nur ein Stock bewohnt ist. Unverputzt reiht sich so Haus an Haus die komplette Küste entlang. Je nach Bevölkerungsdichte gibt es mal mehr und mal weniger Moscheen. Das 20 Uhr Gebet der Imame hören wir meistens zum Abendessen. Doch nun befinden wir uns immer noch auf dem Fahrrad, die Sonne ist gerade untergegangen und das Gebet hallt von allen Seiten. Es ist soweit. Wir haben die Schnauze voll. Es lässt sich einfach kein unbewohnter Platz finden. Wir müssen Jemanden fragen. Im Dunkeln halten wir vor einem kleinen, alten Haus an. Ich frage den Hausherren, welcher gerade seine Arbeitskleidung abgelegt hat und nun in Unterhose vor mir steht, ob es möglich wäre in dem Garten nebenan zu Zelten. Er spricht kein Englisch, aber deutet mir an, dass es nicht sein Grundstück ist, sondern das seines Nachbarn. Ein kurzes Telefonat klärt das Problem. Der Nachbar ist einverstanden.



Kleine toughe Frau!

Kleine toughe Frau!

Wir haben gerade unser Zelt aufgebaut, als eine Person das Gelände betritt. Mit einer großzügigen Geste deutet der Mann, welcher nicht viel älter ist als wir, uns an, dass dies sein Land sei. Erneut fragen wir um Erlaubnis und sind dankbar, als er freundlich nickt. So stehen wir zusammen im Dunkeln vor unserem Zelt. Neben uns in Mamor gefasste Familiengräber. Leider können wir uns auf Grund der Sprachbarriere nicht großartig unterhalten. Sein klingelndes Handy bricht das Schweigen. An der anderen Leitung ist sein Cousin aus Deutschland. Er spielt für den Rest des Abends den Dollmetscher. Bayram, so heisst der Mann, der uns gegenübersteht, möchte uns zu sich und seinen Eltern zum Abendessen einladen. Wir freuen uns riesig, da ich ja erst ein paar Stunden zuvor bedauert hatte, dass wir außer Cay-Bekanntschaften keinen tieferen Einblick in die türkische Kultur bekommen konnten.


Wir steigen in seinen 35 jahre alten Citroen (welcher das selbe Alter hat wie er) und fahren damit die 50 Meter zu seinem vierstöckigen Haus wovon, … (Na? Wer errät es? Richtig!) …nur ein Stockwerk bewohnt ist. Der Vater von Bayram ist groß, kräftig, mit tiefer rauchiger Stimme. Sehr zurückhaltend fast schon muffelig. Die Mutter ist klein, zierlich und unglaublich herzlich. Liebevoll bezieht sie Lorena mit in die Zubereitung des Abendessens ein.
Ich sitze stillschweigend neben dem Vater im Wohnzimmer und darf mich durch das türkische TV-Programm zappen, während dieser einen Pillencocktail für seine Diabetiserkrankung zubereitet. Die Wohnung ist schwül mit orientalischen Teppichen ausgelegt und die Energiesparlampen beleuchten mit krellkühlem Licht ein Bild des Großvaters, das verloren an der großen Wand hängt.



Türkische Gastfreundlichkeit: Nicht nur Cay, sondern alles, was der hauseigene Garten zu bieten hat, steht auf dem reichlich gedeckten Tisch! Wow! Vielen, vielen Dank!!!

Türkische Gastfreundlichkeit: Nicht nur Cay, sondern alles, was der hauseigene Garten zu bieten hat, steht auf dem reichlich gedeckten Tisch! Wow! Vielen, vielen Dank!!!

Zum Essen gesellt sich Bayram wieder zu uns und erklärt mit Dollmetscher über das Handy begeistert die Gerichte, welche zahlreich auf dem kleinen Tisch stehen. Wir sind glücklich eine so tolle Familie gefunden zu haben. Und wieder einmal sind die Strapazen von der vorherigen Schlafplatzsuche vergessen. Die Mutter (“Anne” in türkisch) schenkt Lorena ein handbesticktes Kopftuch und zeigt ihr, wie man es bindet. Wir sind baff von der kleinen Powerfrau, welche scheinbar den kompletten Laden schmeisst. Vom Sticken, über Melken, bis hin zum Brotbacken und Ernten scheint diese Frau trotz ihres fortgeschrittenen Alters einfach Alles zu machen.



Ob ich das so richtig mache?

Ob ich das so richtig mache?


Verwandlung...

Verwandlung...

Bei so viel Gastfreundschaft fühlt man sich schon fast unwohl und so beschliessen wir am nächsten Morgen heimlich im Zelt zu frühstücken, bevor wir uns von der Familie verabschieden. Doch der Plan geht nach hinten los. Die Familie ist fast schon beleidigt, als wir die Einladung zum Frühstück ablehnen wollen. Und so sitzen wir mit bereits vollem Magen und nicht mal eine Stunde später beim zweiten Frühstück. Es gibt selbstgemachte Marmelade, selbstgebackenes Brot, Eier von den eigenen Hühnern und selbstgemachten Feta aus der Milch von den eigenen Kühen. Eigentlich wollten wir heute früh los, da wir bis zum 03. Juni in Samsun sein müssen. (Warum? Das erfahrt ihr im nächsten Bericht!) Doch jetzt ist es bereits 12 Uhr, als wir unsere überschweren Räder wie einen Bob anschieben, um uns dann mehr oder weniger elegant auf das langsam schnellerwerdende Gefährt zu schwingen.



Wir dürfen einen Blick in den Kuhstall werfen...

Wir dürfen einen Blick in den Kuhstall werfen...










Wir haben unser Zelt zusammen gepackt. Jetzt dürfen die Kühe wieder auf die Weide...

Wir haben unser Zelt zusammen gepackt. Jetzt dürfen die Kühe wieder auf die Weide...


Großes Haus, kleine Frau

Großes Haus, kleine Frau

Flache Küste? Was ist denn dann Holland?

Die Türkei ist deprimierend: Immer wenn wir mit viel Mühe – teilweise auch etwas Not – aber vor Allem viel Schweiß einen Berg erklommen haben, geht es direkt wieder hinunter. Was soweit ja erst einmal etwas Schönes ist. Doch nach verhältnismäßig kurzer Abfahrt geht es wieder für ein vielfaches der Zeit hinauf. Hier stellen wir doch fest, dass wir keine passionierten Radfahrer sind und uns doch des Öfteren wünschen unsere Räder würden einen kleinen Hilfs-Motor besitzen! Prompt treffen wir auf eine Dreiköpfige Motorradgang aus Deutschland. Die Jungs sind unterwegs zum Pamir Highway. Sie bestätigen zwar, dass man um einiges schneller unterwegs ist, aber man dafür auch vieles verpasst, die das Auge so schnell nicht erfassen kann. Und auch die Menschen, denen man begegnet rufen selten einem “vorbeirasenden” Motorradfahrer zu: “Hey, Lust auf eine Tasse Tee?”



Neben den Motorrädern wirken unsere beladenen Räder nahezu zierlich. 55 Kg vs. 400 Kg

Neben den Motorrädern wirken unsere beladenen Räder nahezu zierlich. 55 Kg vs. 400 Kg


Gute Reise!

Gute Reise!


Wir finden ein schattiges Plätzchen am Schwarzen Meer...

Wir finden ein schattiges Plätzchen am Schwarzen Meer...


Viel erkennt man nicht: Aber es sind Delphine!

Viel erkennt man nicht: Aber es sind Delphine!

Tödliche Wildschweine

Unser heutiger Schlafplatz liegt auf einem Hügel vor Bafra mit Blick auf die Stadt, die an einem großen Flußdelta liegt. Auf einer kleinen Wiese – umgeben von buschigem Wald, aus dem nicht unweit eine Betonruine ragt – bauen wir unser Zelt auf und kochen unsere Nudeln. Hier und da liegen Bierdosen, die mich aber nicht sonderlich stören. Lorenas weibliche Intuition sagt jedoch, dass dieser Schlafplatz irgendwie nicht so der Brüller ist. Unser Zelt ist von einem Feldweg zu gut einsehbar. Ich aber denke mir, dass heute Nacht wohl kaum noch Jemand vorbeikommen wird. Nicht einmal fünf Minuten später rollt ein weißer Combi auf dem Feldweg an uns vorbei. Die Scheinwerfer treffen auf das Zelt. Ich winke. Das Auto hupt und rollt weiter Richtung des Betonkomplex. Was zum Teufel will ein Auto so spät noch mitten im Wald? Kurze Zeit später kommt es zurück. Zwei Männer steigen aus. Ich gehe auf sie zu. Sie sind ernst, aber nicht unhöflich. Mit Handzeichen versuchen sie mir zu erklären, dass in dem Wald Irgendetwas ist, dass Lorena und mich heute Nacht “umbringen” wird. (Handzeichen: Kehle durchschneiden) Ich bin etwas verwirrt, hole das Icoon (Bildwörterbuch) und zeige fragend auf einen Bären. Die Männer schauen in das Buch und zeigen auf “Wildschwein”. Hmm Ok. Ich glaube nicht, dass ein Wildschwein unser Zelt angreifen wird. Ich deute den Männern an, dass wir trotzdem bleiben und bedanke mich für ihre Warnung. Ich gehe zurück zum Zelt. Das Auto fährt nicht weiter. Die Männer steigen erneut aus. Sie versuchen uns mithilfe von Bierflaschen deutlich zu machen, dass wohl betrunkene Kriminelle hier Nachts ihr Unwesen treiben. Sie zeigen auf Lorena und schiessen, als würden sie Pistolen halten. Dann fahren sie endlich davon. Ich gehe zurück zum Zelt. Wir sind etwas irritiert, besprechen uns und kommen zu dem Schluss, dass es nicht die Warnungen sind, die uns nervös machen, sondern uns die Männer äußerst suspekt erscheinen. Ziemlich angesäuert packen wir im Dunkeln und bei beginnendem Regen unser Zelt notdürftig wieder auf das Fahrrad. Wir beschließen nach Bafra hinein zu fahren. Gerade als wir den Feldweg wieder Richtung Highway abbiegen wollen, kommt uns erneut ein Auto entgegen. Lorena läuft mit ihrem Fahrrad hinter ein Stromhäuschen. Ich habe nicht schnell genug reagiert und stehe nun im Scheinwerferlicht des Autos.


Lorena:Ich lauere hinter dem Häuschen und beobachte wie das Auto immer näher auf Timm zukommt. Was mache ich denn jetzt, wenn die ihn verprügeln oder so?

Timm: Das Auto fährt an mir vorbei. Nach 10 Metern hält es an und setzt zum Wenden an. Als es Quer zum Weg steht gehen Motor und Licht aus. Jetzt werde ich ziemlich nervös. Ich denke an die Warnung mit der Pistole. Ich stelle mich seitlich zu dem Auto um kein zu breites Ziel zu geben. Nichts passiert. Oh man, bin ich ein Hosenscheisser. Lorena kommt aus ihrem Versteck und wir beeilen uns zurück auf die Schnellstraße zu kommen. Als wir den Hügel in der warmen Sommernacht hinunter Rollen und sich mein Adrenalinpegel langsam wieder senkt, kann ich den Moment fast schon wieder genießen. Lorena und ich grinsen uns an wärend wir den Lichtern der Stadt näher kommen.






Die Vier von der Tankstelle

Die erste Tankstelle, die wir dank greller Beleuchtung auch in der Dunkelheit finden, hat eine kleine Rasenfläche, wo wir unser Zelt aufschlagen dürfen. Ein paar Junge Leute kommen auf uns zu. Nicht schon wieder, denke ich. Doch die Männer sind sehr freundlich und laden uns passenderweise mit den Worten: “Welcome to Bafra” auf einen Cay ein. Dieser Satz wird sich wohl in unser Gedächtnis einprägen! Auch wenn wir nach dem Erlebten lieber ein Bier oder einen Schnaps gehabt hätten, sind wir froh uns wieder unter normalen und freundlichen Leuten zu befinden. Der Abend wird lang, und obwohl die Herren kaum bis kein Englisch sprechen, unterhalten wir uns angeregt mit Händen und Füßen.
Am nächsten Morgen brechen wir früh auf, denn – wie gesagt – müssen wir bis zum 03.Juni in Samsun sein! Doch auch diesmal ist ein schnelles Vorwärtskommen nur bedingt möglich! Gerade als wir Bafra verlassen wollen, lädt uns erneut eine Tankstellen Clique zum Cay ein. Wir sind glücklich, dass der Besitzer fließend Englisch spricht und vergessen dabei die Zeit. Wir reden über Alltägliches und über Politik. Darüber, dass viele Türken gar nicht mehr der EU beitreten wollen, weil die Türkei mittlerweile zu einem reichen Land herangewachsen ist. Oder darüber, dass Atatürk, der Vater der Türkei, die Revolution aus der Stadt Samsun ins Rollen gebracht hat. Und Und Und. Dann lädt er uns noch zu türkischem Omlet und einer landestypischen Suppe ein. Wir möchten am liebsten bleiben, denn die Tankstellen in Bafra sind besonders herzlich und verwöhnen uns mit vielen Leckereien.



Danke für die Verpflegung!

Danke für die Verpflegung!

Man soll nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen…

Wir sind gerade einmal 5 Km gefahren, als ein Auto vor uns hält. Ein Mann mit seiner Frau und zwei Kindern steigt aus. Er kommt grinsend auf uns zu: “Lorena and Timm?” Wir: “Äh, ja?” Er: “I’m Behcet!” Wir: “AAAAAAAAH”. Behcet ist der Bruder eines Bekannten von Levend, dem Professor aus Eskisehir, der uns bei der Unterkunftsuche in Trabzon behilflich sein wird! Wir hatten bisher nur per Email Kontakt. Er war gerade mit seiner Familie auf dem Weg in Richtung Bafra, als er uns auf der Straße entdeckt hat. Wir sind alle positiv überrascht über diesen Zufall und verabreden uns für den Abend in Samsun.



Lorena? Timm? Ein Mann hält neben uns an... Woher kennt er uns?

Lorena? Timm? Ein Mann hält neben uns an... Woher kennt er uns?


Wir verbringen den Nachmittag mit Önder und seiner Familie im "Sommer-Ferienhaus"

Wir verbringen den Nachmittag mit Önder und seiner Familie im "Sommer-Ferienhaus"

In Samsun haben wir einen Schlafplatz über die Plattform “warmshowers.org” gefunden. Önder träumt davon auch einmal eine solche Fahrradreise zu unternehmen und freut sich über jeden Kontakt zu Fernradlern – nicht schwierig, denn die Strecke zwischen Samsun und Trabzon passieren so Einige! Am Abend geraten wir ein wenig in einen Konflikt, da uns sowohl Önder und seine Frau zu einem Bier einladen, aber wir auch eine Einladung von Behcet zum Abendessen erhalten haben. Also brechen wir um zehn Uhr noch einmal zu Behcet und seiner Frau auf und werden dort lecker verköstigt!!!



Abendessen bei Behcet! THANK YOU FOR THE DELICIOUS FOOD, NICE EVENING AND ALL YOUR HELP!!!

Abendessen bei Behcet! THANK YOU FOR THE DELICIOUS FOOD, NICE EVENING AND ALL YOUR HELP!!!


Toller Gastgeber: Önder. Er führt im unteren Geschoss des Hauses seiner Familie eine Apotheke. Im Krankheitsfall ist man so auch in den besten Händen. Wir verlassen Samsun glücklich und gesund! Danke!!!

Toller Gastgeber: Önder. Er führt im unteren Geschoss des Hauses seiner Familie eine Apotheke. Im Krankheitsfall ist man so auch in den besten Händen. Wir verlassen Samsun glücklich und gesund! Danke!!!


Die Busfahrer sind begeistert: Zwei dreckige Räder voller Gepäck sollen im Stauraum untergebracht werden.

Die Busfahrer sind begeistert: Zwei dreckige Räder voller Gepäck sollen im Stauraum untergebracht werden.


Die verbaute Küstenstrasse zwischen Samsun und Trabzon gleicht einer Autobahn und so beschließen wir, die mit dem Bus "eingesparten" Kilometer lieber in landschaftlich attraktiveren Gebieten zu verfahren...

Die verbaute Küstenstrasse zwischen Samsun und Trabzon gleicht einer Autobahn und so beschließen wir, die mit dem Bus "eingesparten" Kilometer lieber in landschaftlich attraktiveren Gebieten zu verfahren...


Auch Busfahren kann bei 30 Grad anstrengend sein. Angekommen in Trabzon stärken wir uns erst einmal mit einer Portion Fast-Food...

Auch Busfahren kann bei 30 Grad anstrengend sein. Angekommen in Trabzon stärken wir uns erst einmal mit einer Portion Fast-Food...