Doppelte Identität
In dem Tunnel, durch den wir gerade fahren stauen sich die LKW. Ein Zeichen dafür, dass wir uns nun der georgischen Grenze nähern. Als wir das Tageslicht erblicken, stellen wir erschrocken fest, dass sich nicht nur die Fahrzeuge stauen. Eine riesige Menschentraube steht vor dem kleinen Kontrollhäußchen. Wir ordnen uns zwischen den Autos ein und kommen wider Erwarten schnell durch die Kontrolle. Wir befinden uns nun im sogenannten “Niemandsland”. Da Timms Bruder Jens uns unsere Zweit-Pässe aus Deutschland inklusive Aserbaidschanischem Visum mitgebracht hat, wollen wir diese auch gleich zum Einsatz bringen. Ich schaue mich um. Die Beamten nehmen keine Notiz von uns. Wie ein Geheimagent lasse ich meinen “alten” Pass unaufällig in der Tasche verschwinden und ziehe in einer Handbewegung den “neuen” Pass heraus. Ha! James Bond, das ich nicht lache! Wir fahren zur georgischen Grenze. Die Beamtin schaut uns irritiert an. “Wo ist denn der türkische Stempel?” Schlagfertig wie ein Geheimagent in jeder Situation sein muss, erzählen wir ihr, das Deutsche in der Türkei mit ihrem Personalausweis reisen können und zücken das kleine Kärtchen. Doch davon hat die Dame noch nie etwas gehört. Sie greift zum Telefonhörer. Verdammt wir sind aufgeflogen! Mit lässiger Miene warten wir auf ihre Entscheidung und schmieden insgeheim Fluchtpläne. Sie fordert uns auf zur türkischen Grenze zurückzukehren! Ich kann nicht glauben, was ich da höre! Wird uns nun tatsächlich die Einreise verweigert? “Bitte holen Sie sich dort den türkischen Stempel!” Achso! Aber das macht es auch nicht besser. Die türkischen Beamten sind schließlich auch nicht auf den Kopf gefallen. Timm fragt, ob wir wenigstens die Räder so lange hier stehen lassen können. Nun wird der Dame die Situation wohl zu Kompliziert. Sie stempelt unsere Pässe ab, drückt sie uns in die Hand und sagt: “Welcome to Georgia!”
Kontrast
Es ist schwülheiß. Eine tropische Pflanzenwelt hat sich so weit das Auge reicht alles erkämpft, was nicht mühevoll von den Menschenhand gepflegt wird. Dazwischen schimmern Häuser, rostige Zäune und verottende Autos in pastelligen Farben. Frauen in kurzen Röcken und korpulenten Hinterteilen stolzieren am Strassenrand. Wir schwitzen ohne uns zu bewegen. Ich werde das Gefühl nicht los, mich gerade in Kuba zu befinden und schaue mich nach einer “Havanna” Reklame um, entdecke stattdessen ein Plakat für Wodka, welches mich nach Georgien zurückholt.
Ich stehe am Strand inmitten “nackter” Menschen. Lediglich bekleidet mit knapper Bademode. Eine ungewohnte Freizügigkeit. Auch ich fühle mich nach türkischer “Verhüllung” in meinem Bikini ziemlich spärlich bekleidet. Müsste jetzt nicht eigentlich der Imam singen? Stattdessen dröhnt aus einem Auto laute Techno-Musik. Wohl die aktuellen Charts! Während ich das Fahrrad durch den Sand schiebe, trete ich beinahe in eine Spritze. Dicht daneben spielt ein kleines Mädchen im Sand. Welcome to Georgia!
Lieber Schutzengel!
Ich möchte mich auf diesem Wege zwischenzeitlich schon einmal ganz herzlich bedanken und hoffe, dass du mir auch weiterhin so schützend zur Seite stehst! Wie du sicher weißt, befinden wir uns gerade in Georgien. Der Verkehr ist ganz grauenhaft und ich fürchte oft um mein Leben! Auf zweispurigen Strassen, fahren vier Autos mit Tempo einhundert aneinander vorbei und es ist mir unbegreiflich, wie das ohne größere Blechschäden funktionieren kann. Zur Sicherheit und damit auch du wieder Kräfte sammeln kannst, werden wir die nächsten zwei Tage auf einem kleinen ruhigen Campingplatz verbringen.
Alte Bekannte
Eine wohlvertraute Stimme ruft “Hey Germans” von draußen. Das kann doch jetzt nicht…? Die Holländer! Da wir das flott-radelnde Pärchen bereits in Armenien vermuteten, sind wir wirklich überrascht! Nach einem gemeinsamen Frühstück radeln wir ein paar Kilometer zusammen: Wie immer bilden die Holländer die Vorhut und wir kriechen mit einigem Abstand hinterher. So sind wohl beide Parteien nicht zu traurig, als sich unsere Wege am Nachmittag wieder trennen. Dennoch war es schön, die Beiden erneut zu treffen, da sie zu lieben Weggefährten geworden sind.
Georgische Gastfreundschaft
Auch wenn wir heute noch nicht besonders weit gekommen sind, verspüren wir die Lust uns demnächst einen Schlafplatz zu suchen. Da kommen uns die vier freundlichen Jungs ganz gelegen. Neugierig begutachten sie unsere Räder und wir versuchen ihnen einmal wieder mit Händen und Füßen zu erklären, was wir machen und ob sie einen Ort kennen, wo wir unser Zelt aufschlagen dürfen. Kurzerhand nehmen sie uns mit und führen uns zu einem kleinen Haus mit angrenzender Wiese. Dort bekommen wir zuerst einmal Kaffee und Bier auf den Tisch gestellt. Obwohl wir uns mangels fehlender Russisch Kenntnisse unsererseits und fehlender Englischkenntnisse ihrerseits kaum verständigen können, entsteht so etwas wie eine rege Konversation. Wieder einmal kommt das kleine Bildwörterbuch erfolgreich zum Einsatz. Nachdem wir auch noch die für Georgien typischen Chinkali aufgetischt bekommen, bittet uns Gela bei ihm zu Hause zu übernachten.
Chinkali-Teigtaschen
Bei Chinkali handelt es sich um gefüllte Teigtaschen, die mit verschiedenen Füllungen angeboten werden. Je nach Region haben Chinkali unterschiedlich viele Falten. Das Essen der Taschen ist eine Kunst für sich: Sie werden von Hand gegessen. Dabei greift man zur Spitze der Teigtasche (georgisch kudi “Hut”), die kühler ist als der Inhalt. Man beißt etwas Teig ab und trinkt den Saft aus der Tasche, dann isst man den ganzen Rest. Weil die Spitze hart ist, wird sie nicht mitgegessen sondern zur Seite gelegt. Am Ende der Mahlzeit kann dann gezählt werden, wie viele Teigtaschen jeder Esser geschafft hat.
Zu Besuch im Garten Eden
Lorena: Fanatismus existiert nicht nur in muslimischen Ländern. Ich, die wenn überhaupt nur an Weihnachten die Kirche aufsucht, fühle mich im orthodoxen Georgien beinahe schon als Atheistin. In jedem Haus, das wir betreten, prangt uns ein Schrein mit heiligen Figuren entgegen und Jesus Poster dienen als Tapete.
Timm: Wir fühlten uns auf Grund der konservativen Haltung der Muslime in der Türkei manchmal unwohl. Dass wir uns aber unter Christen in Georgien teilweise noch unwohler fühlen, zeigt folgende Erfahrung: Ein Mann hat uns auf der Strasse angesprochen. Wir waren gerade auf der Suche nach einem Hotel, um am kommenden Tag unsere Webseite zu pflegen. Er bot uns an, gegen ein bisschen Entgeld bei ihm zu übernachten. Wir folgen ihm zu seinem Haus. Am Tag zuvor haben wir eine Polin getroffen, die sich bereits darüber beschwerte, wie erz konservativ die Georgier sind und das Polen dagegen schon fast heidnisch sei. Als wir vor dem Haus von Konstantin stehen bittet er uns höflich darum, möglichst nicht zusammen das Badezimmer aufzusuchen. Ich bin verwirrt. Könnte es sich eventuell um ein Missverständnis handeln? Ich frage nach. “We are christians, and you are not married. Thats why.” Lorena und ich antworten von der Türkei konditioniert, dass wir verheiratet seien. Ooops. Und schon sind wir beste Freunde. Stolz, wie es Georgier tun, zeigt uns Konstantin sein Haus. Doch damit ist die Führung noch lange nicht beendet. Wir betreten den “Garten Eden”. In der fruchtbaren Erde wachsen und gedeihen Tomaten, Kartoffeln, Erdbeeren, Sojabohnen. Kräuter sprießen in den Himmel und mächtige Bäume voller Früchte werfen spendenden Schatten. Küken hüpfen durch das Gras. Alles ist so perfekt. Als wir im Wohnzimmer stehen entdeckt Lorena das Klavier. “Can you play?” Konstantin: “No, not really. Let me try”. Mit offenen Mündern stehen wir da, als er in Lang Lang Manier das Klavier zum Singen bringt. Das Lied klingt großartig! Aber ich muss mir das Lachen ernsthaft verkneifen. Das klebrige Sahnehäubchen kommt (natürlich aus biologischer Milch und ohne Zucker), als er auch noch laut zu singen anfängt. Seine Mutter bittet zu Tisch, welcher reichlich mit georgischen Speisen gedeckt ist. Wir sind überwältigt von der Vielfalt der Gaben, die wie beim Abendmahl Bankett-ähnlich den Tisch füllen. Es gibt selbstgemachten Wein, selbstgemachten Saft, selbstgebrannten Schnaps und Wasser aus dem benachbarten Bach. Wir fühlen uns wie Adam und Eva. Unsere Sünde ist der Schwindel von der Heirat. In Georgien wird beim Anstossen mit Wein stets ein Tost ausgesprochen. Konstantin tostet auf Familie, Geliebte, Verstorbene, Kinder und ich warte darauf, dass er auf Katzen, Babys und Welpen anstossen möchte. Dass wir mit dem Essen so verköstigt werden, war nicht abgemacht und so sorgen wir uns darüber, was wir am Ende wohl zahlen müssen. Ich meine zu Lorena: “Ich könnte mir vorstellen, dass wir am Ende so viel zahlen sollen, was es uns Wert ist.” So ist es. Wir verlassen das Paradies und stehen glücklich mit unseren Rädern auf dem harten Asphalt der Welt ausserhalb des fruchtbaren Gartens.
Kurz-Besuch in Kutaisi