The legendary Ferry-tale
Es ranken sich viele Mythen um die Fähre über das Kaspische Meer von Baku nach Aktau. Dass es keine Fahrpläne gibt und man auf etwas Glück hoffen muss, eine zu erwischen. Dass von den lediglich zwei Fähren, die es einmal gab eine gesunken sei. Dass man eine Menge Proviant mitnehmen sollte, da es sein kann, dass man einige Tage auf See verbringen muss. Dass es eine alte, unfreundliche Dame gibt, die in einem kleinen Häußchen die Fahrkarten verkaufen soll. Und tatsächlich. Einige dieser Dinge werden sich in den nächsten Tagen bewahrheiten…
Montag, 09:00 Uhr: Timm fährt die rund 5 Km zum Hafen, um zu erfragen, ob es heute ein Boot gibt. Er soll um 13:00 Uhr wieder kommen.
Montag, 13:00 Uhr: Timm fährt wieder zum Hafen. Wir sollen um 15:00 Uhr wieder kommen. Wahrscheinlich kommt ein Boot.
Montag, 15:00 Uhr: Mit bepackten Rädern stehen wir – nachdem wir uns von unserer Gastgeberin und den Anderen verabschiedet haben – am Hafen in der Mittagssonne. Wir warten einige Zeit, da es immer noch keine Infos zu einem ankommenden Boot gibt. Zu uns gesellen sich drei Italiener aus Trentino, weshalb zwei von ihnen auch Deutsch sprechen.
Auch sie wollen über das Kaspische Meer. Dann erhalten wir die Auskunft: Das Schiff wird den Hafen heute Nacht gegen zwei Uhr erreichen und morgen auslaufen. Wir sollen bitte morgen um 9:00 Uhr erscheinen. Großartig! Wir ziehen unsere Verabschiedung zurück und erbitten noch eine weitere Nacht Obdach, was natürlich kein Problem ist! Danke! Zurückfahren, Räder wieder abladen und alles wieder in das Dachgeschoß befördern…
Dienstag, 09:00 Uhr: Wieder treffen wir mit bepackten Rädern am Hafen ein. Hoffnungsvoll geht Timm in den Schuppen, um zu erfragen, ob es heute nun endlich einen Platz auf der Fähre gibt: Ja, den gibt es! Wir sollen um drei Uhr wieder kommen. Dann gibt es die ersehnten Tickets! Wow! Ein Hoffnungsschimmer. Also rollen wir in den angrenzenden Park und warten. Unser Magen knurrt, aber um diese Uhrzeit schläft die Promenade noch und nicht eine Dönerbude hat geöffnet.
Dienstag, 12:00 Uhr: Mit unseren letzten Manat ergattern wir vier Burger bei KFC.
Dienstag, 14:00 Uhr: Zurück am Hafen. Weiterhin heißt es Warten. Wir stellen uns in den Schatten zu einigen Männern, welche uns neugierig beobachten. Einer von ihnen ist Türke und hilft uns bei der Kommunikation mit der Dame vom “Ticketschalter”. Uns knurrt immer noch der Magen, da die Burger in Fast-Food typischer Manier nicht allzu lange sättigen. Aber wir haben kein Geld mehr. Der Mann, welcher als Biologie-Lehrer in der Türkei arbeitet und scheinbar viel reist, bietet uns an, unsere Euro zu tauschen. So sitzen wir kurz darauf mit ihm beim Mittagessen: Fettige Pommes mit noch fettigerem Hühnchenfleisch. Aber der Magen ist gefüllt.
Dienstag, 15:00 Uhr: Wir halten tatsächlich die Tickets in der Hand. Doch auf die Fähre dürfen wir noch lange nicht. So verbringen wir zusammen mit den Italienern, ein paar Turkmenen und Kasachen einige Stunden in einer Art “Bushäußchen”, welches in der Mittagshitze zumindest Schatten spendet…
Dienstag, 18:05 Uhr: Passkontrolle
Dienstag, 18:45 Uhr: Unglaublich aber wahr: Wir betreten das Schiff! Untergebracht werden wir in einer kleinen Kajüte zusammen mit den italienischen Sunnyboys. Einziger Haken an der Sache: Es gibt nur vier Betten – wir sind zu fünft. Also beschließen Timm und ich uns eines der 80cm breiten Betten zu teilen.
Dienstag, 20:56: Warten…
Dienstag, 23:45 Uhr: Das Schiff setzt sich in Bewegung und wir verabschieden uns nun endgültig von Baku, welches sich noch einmal in all seinen bunt-blinkenden Lichtern zeigt, um dann immer kleiner zu werden. Wie es endgültig am Horizont verschwindet, bekommen wir nicht mehr mit, da wir nach diesem anstrengenden Reisetag – an dem wir uns lediglich ein paar hundert Meter bewegt haben – erschöpft einschlafen.
Mittwoch Die meiste Zeit des Tages verbringe ich mit Schlafen. Da man auf dem Schiff nicht viel anderes machen kann – außer im Gemeinschaftsraum Tischtennis zu spielen – nutze ich die Zeit um einfach mal den Kopf abzuschalten und neue Energie zu tanken.
Mittwoch, 22:00 Uhr: Aktau! Freudig springen wir aus unserer Kajüte und hängen uns über die Reling. Dann die schlechte Nachricht: Vor fünf Uhr in der Nacht bekommt das Schiff keine Erlaubnis zum Einlaufen. Wir sehen es positiv. Immerhin müssen wir uns nun nicht mehr um eine Unterkunft in Aktau bemühen, sondern verbringen eine weitere Nacht in der Viererkajüte zu Fünft. Diesmal sogar mit funktionierender Klimaanlage. So langsam ist damit der Fahrtpreis von 100 Euro pro Person ja beinahe schon berechtigt…
Donnerstag, 10:00 Uhr: Endlich! Wir erreichen Festland! Ein Grenzbeamter kontrolliert unsere Pässe und weist uns an, unseren Zweitpass irgendwo in unserer Tasche zu verstecken. Nach einigen Versuchen der Erklärung, warum wir jeweils zwei Reisepässe besitzen, hielt er dies wohl für die sinnvollste Entscheidung. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß… oder so. Dann geht alles sehr schnell. Wir dürfen von Bord! Mit so vielen Taschen wie möglich klettern wir die schmale, steile Treppe in den Frachtraum herunter, wo unsere Räder auf uns warten. Doch wir sind noch keine zwei Minuten dabei unsere Fahrräder zu bepacken, als die Beamten ungeduldig werden. Wir sollen alles hier liegen lassen und mitkommen! Verärgert darüber unser Gepäck hier alleine zurück zu lassen und etwas verunsichert, was es mit der Aktion auf sich hat, werden wir in einen Kleinbus gezwängt. Wir fahren etwa einen Kilometer zu einem kleinen Haus. Dann heißt es mal wieder warten. Von jedem werden die Pässe kontrolliert. Wir kommen zu Letzt an die Reihe und in mir wächst die Anspannung und die Besorgnis darüber, was wohl gerade mit unserem Gepäck und den Rädern passiert. Während der Kontrolle versuche ich mich zusammen zu reißen, lächle den Beamten freundlich an und stelle zu Beweis, dass ich sogar schon Bitte, Danke und Hallo auf Kasachisch sagen kann, was ihn scheinbar auch milde stimmt und er nun seinen Bearbeitungsvorgang beschleunigt…
Donnerstag, 12:00 Uhr: Freiheit! Wir rollen in Richtung Aktau…
Ankunft in Aktau – Beinahe!
Die junge Hafenmetropole Aktau (weißer Berg) am Kaspischen Meer entwickelt sich aufgrund ihres Reichtums an Rohstoffen rasant. Geplant ist daraus eine moderne internationale Stadt zu entwickeln. Dabei ist besonders die Erdölindustrie das wirtschaftliche Rückgrat der Stadt. Eine Besonderheit bietet Aktau: anstatt Straßennamen findet man entsprechend durchnummerierte Blocks in den einzelnen Distrikten. Aktau ist der perfekte Ausgangspunkt für Touren in das umgebende, geheimnisvolle, von Muschelkalk bedeckte, Territorium. Dessen gleichnamige Regionalhauptstadt liegt zu einem Teil auf Europäischer und auf der anderen auf Asiatischer Seite. Dem Masterplan für die nächsten Jahre folgend wird Aktau auf der Halbinsel Mangyshlak gelegen auch im Bereich touristischer Aktivitäten und durch den Bau von Hotel- und Shoppingzentren zu einem neuen internationalen Hot Spot am Kaspischen Meer.
Doch wir kommen nicht dazu in die Stadt hinein zu fahren! In einem Sandsturm kämpfen wir uns im Schneckentempo die 5Km vom Hafen entlang der Küste in Richtung der ersten Häuser, als neben uns ein großer, schwarzer Geländewagen anhält: “Where are you from?” Der kasachische Geschäftsmann fragt uns auch, ob wir schon wissen, wo wir unterkommen. Er hat ein freies Zimmer in seiner Firma und lädt uns ein dort zu schlafen. Seiner bestimmenden aber dennoch freundlichen Art können wir nicht widersprechen. Kurz darauf holt uns seine Assistentin ab und wir folgen ihrem Wagen – wie sollte es auch anders sein – für einige Minuten in die Richtung, aus der wir gerade kamen. Nur dass uns diesmal der Sand von hinten um die Ohren fegt und unser Fahrttempo beschleunigt. Wir sind gespannt, was uns erwartet!
Das Firmengebäude des Unternehmens KARIERTAU wirkt auf den ersten Blick eher unscheinbar. Sofort springen einige Leute auf uns zu, begrüßen und begutachten uns und die Räder neugierig. Wie sich herausstellt, hat der Chef schon mal “Reisende” aufgesammelt. Wir rätseln, ob aus großzügiger Gastfreundschaft, Faszination für diese Menschen oder vielleicht auch, um Kasachstan gut zu repräsentieren. Wie auch immer. Alle geben sich sehr große Mühe, sind freundlich, interessiert und versuchen Alles, um uns unseren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. EIN RIESIGES DANKESCHÖN AN DAS GANZE TEAM UND BESTE GRÜSSE NACH AKTAU!
Zurück aufs Wasser
Am Abend hat uns Anara, die Tochter des Chefs, eingeladen eine Bootstour zu unternehmen. So werden wir von einer netten Dame mit rasantem Fahrstil zum Yachthafen kutschiert. Dort wartet Anara schon mit ihrem Freund. Die Beiden genießen es uns zu verwöhnen: Aus ihrem Picknickkorb ziehen sie eine Flasche Whiskey, Cola und leckere Hähnchen-Wraps. Wir sind etwas überfordert, vertilgen hungrig die geschmackvoll gefüllten Teigrollen, leeren hastig unseren Whiskey, um uns dann freudestrahlend, wie Kleinkinder am großen Steuerrad festzuhalten. AHOI!!!
Ab in die Hitze
Um 6:30 Uhr geht es am nächsten Morgen los. Beinahe zu spät. Der eigentliche Plan war ALLERSPÄTESTENS um 6:00 Uhr auf dem Rad zu sitzen, doch in der Müdigkeit hat sich der Wecker wie von alleine ausgestellt. Erst das heftige Klopfen des Wachmanns an unserer Tür, welchem wir noch am Tag zuvor stolz von unserem Vorhaben früh aufzustehen erzählt haben, weckt uns auf. Auch wenn es nicht gerade die sanfteste Art war aufzuwachen, sind wir ihm dafür sehr dankbar. Denn vor uns liegt eine Etappe von rund 100 Kilometern nach Taoshyq, wo wir erneut dank der Firma KARIERTAU einen Schlafplatz bereit gestellt bekommen. Die Strecke wird direkt nach Aktau zur Herausfoderung: Eine weite sandige Ebene ohne Schatten und mit jeder Menge Sonne…