Planung und Realität
Vor der Reise. Man sitzt zu Hause und macht sich einen groben Plan. Eine einfache Rechnung: Der Tag hat etwa 12 Sonnenstunden. Wenn man davon etwa 6 Stunden mit einer Geschwindigkeit von 15 Km / h fährt schafft man 90 km pro Tag. Simpel, oder? Doch in der Realität spielen noch einige mehr Faktoren hinein: Das Wetter und die Temperatur, die Strassenbeschaffenheit, die Tagesstimmung. Wen man unterwegs trifft, wie oft man anhält um ein Foto zu schießen, die Suche nach einem geeigneten Schlafplatz. Die Zeit, die man sich nimmt um innezuhalten und genießen. Einmal auszuruhen und gar nichts zu tun. Die Zeit, die wir brauchen, um unsere Webseite möglichst aktuell zu halten, Texte zu schreiben, Bilder auszuwählen und zu bearbeiten. Die Suche nach Internet. Oder der Punkt, dass der Körper manchmal einfach nicht mehr so will, wie der Kopf…
WÜSTE GRENZE
Wie Alles, was sich irgendwie von der flachen, sandfarbenen Steppe abhebt, können wir die Usbekische Grenze schon früh erkennen. Am Horizont tauchen unscharf Gebilde auf, die wie eine Fata-Morgana vor Hitze flimmernd über dem Sand zu schweben scheinen. Da wir uns nicht sicher sind, wann die Grenze am nächsten Morgen öffnet, und wir es nicht riskieren wollen erst zur Mittagshitze durchgelassen zu werden, beschliessen wir noch einen Endspurt hinzulegen, um noch heute Abend Kasachsten (vorerst) hinter uns zu lassen.
Als wir näherkommen erkennen wir, dass die “Häuser” Willi Betz LKW sind, die sich in einer unendlich lang erscheinenden Schlange hintereinander gereiht haben. Das kann nichts Gutes bedeuten. Vorbei an neugierigen Blicken bierbäuchiger Trucker in Unterhosen, rollen wir zur Grenzstation. Doch auf unser Fragen hin, öffnet uns der junge Wachposten sofort das massive Tor. Und in weniger als zehn Minuten befinden wir uns im Niemandsland zwischen Kasachstan und Usbekistan. Ein trostloser Fleck Erde. Unendlich viel Müll, wartende Menschen, ein schreiendes Baby. Es erinnert stark an Bilder eines Flüchtlingslagers, die man aus dem Fernsehen kennt. Obwohl es nicht die feine englische Art ist, zwängen wir uns an LKW vorbei zu den Beamten und drücken dem usbekischen Grenzbeamten unsere Pässe in die Hand. Erstaunlicherweise öffnet sich wieder prompt das Tor und unter missbilligenden Blicken der Wartenden werden wir eingelassen. Es ist kein schönes Gefühl, so priviligiert behandelt zu werden, dennoch bin ich froh die Nacht nicht dort verbringen zu müssen. Doch nun fängt die eigentliche Prozedur erst an. Der Beamte nimmt seine Aufgabe sehr wichtig. Wieder und wieder blättert er unseren Reisepass durch, und erweckt das Gefühl selbst nicht genau zu wissen, was er sucht, bis er schließlich im Schneckentempo den ersehnten Einreisestempel auf das Papier drückt. Kein Grund zur Eile. Es warten ja nur rund 300 LKW. Die nächste Station der schikanierenden Prozedur ist das Röntgenband, vor dem wir uns an den vorherigen Grenzkontrollen immer drücken konnten. Mittlerweile ist es dunkel und wir haben tierischen Hunger, was die Beamten scheinbar dazu verleitet noch langsamer zu arbeiten. Dieses Mal kommen wir nicht drum herum. Übertrieben umständlich fangen wir an die Taschen vom Rad zu “demontieren”, in der Hoffnung, dass den Beamten der Geduldsfaden reisst, doch diese kontrollieren in aller Ruhe Tasche für Tasche, setzen sich unsere Sonnenbrille auf und ab und knipsen mit unserer Kamera (leider unscharfe) Fotos. Lorena steht mit zwei Beamten vor der Tür, die sich herzzerreissend um sie kümmern. Mit ihrem schönsten Messelächeln wickelt sie die jungen Soldaten um den Finger, drückt etwas auf die Tränendrüse bis die Beamten letzendlich nachgeben und die Kontrolle stoppen. So stehen wir dann doch recht schnell – nach nur zwei Stunden – auf usbekischem Boden und hören hinter uns das Tor ins Schloss fallen. Vorbei am Schwarzmarkt leuchten wir uns mit dem kegelförmigen Schein unserer Stirnlampen den Weg auf der holprigen Straße. Als wir uns unbeobachtet fühlen, biegen wir von der Straße ab und schieben unsere Räder hinter einen kleinen Sandhaufen. Wir sind etwas verunsichert, ob wir in der dunklen Nacht wirklich alleine bleiben, bauen dennoch unser Zelt auf und schlafen ohne Zwischenfälle bis zum nächsten Morgen durch. Der erwartet uns erneut mit kilometerlanger, sandiger Einöde…
Alternative Reisemethoden
Usbekistan war auf unserer ursprünglichen Route nicht vorgesehen. Eigentlich wollten wir den kompletten Weg durch Kasachstan radeln um dann direkt die Grenze nach China zu passieren. Doch warum nicht noch zwei weitere Länder “besichtigen” – Usbekistan und Kirgisistan. Und so stürzen wir uns dann relativ planlos in dieses fremde Zentral Asiatische Land. Leider bleiben uns, auf Grund der Wartezeit in Baku auf die Fähre, nur 14 Tage für 1500 Km bis unser Visum abläuft, was mit dem Fahrrad für uns nicht zu schaffen ist, selbst ohne Magenbeschwerden. Etwas besorgt um unsere Gesundheit und wegen des besagten Zeitdrucks entschliessen wir uns im nächsten Ort auf den Zug nach Kongrad aufzuspringen. Und wer nun glaubt Zugfahren sei eine entspannte Alternative zum Fahrradfahren in der Wüste, der soll doch bitte einmal eine Zugreise durch Uzbekistan unternehmen!
Timm: Doch ohne Moos nix los und so besuchen wir die örtliche “Bank”, bestehend aus einem Zimmer mit einem Tresorschrank und einer jungen Dame. Was wir bis Dato nicht wissen: In Usbekistan gibt es keine Geldautomaten. Warum? Das erfahre ich auf dem Bazar, zu welchem mich die Bankangestellte schickt. Lorena wartet bei den Rädern am Bahnhof. Als ich wieder komme und ihr einen Sack voll Geld vor die Füße werfe, staunt diese nicht schlecht: “Wen hast du denn überfallen?” Auf dem aus 4 Ständen bestehenden Bazar sprach ich eine ältere Dame an. Auf dem Taschenrechner zeigte sie mir den Wechselkurs. Ich war einverstanden. Mir blieb auch nichts Anderes übrig, da wir den aktuellen Kurs nicht kannten und unser Wissen aus einem Lonely Planet von 2004 stammte. Dennoch wechselte ich unsere letzten Tenge in Som. Die Damen des Bazars scharten sich um mich, denn 80 Euro bekamen sie nur gemeinsam zusammen. Von links und rechts streckten mir die Frauen Bündelweise Geld entgegen. Ich kam mit dem Zählen nicht mehr hinterher, bis ich schließlich kapitulierte, das Geld nur noch grinsend an mich nahm wie Dagobert Duck und hoffte, dass ich nicht übers Ohr gehauen werde. 1000 Som ist der größte Schein der Währung. Umgerechnet sind das weniger als 30 Cent.
Lorena: Timm steht eine Ewigkeit am Schalter. Ich werde nervös, denn der Zug wird jeden Moment eintreffen. Timm scheint diese Unruhe wie immer nicht zu teilen und lehnt relaxt wie ein Marlboro Cowboy am Schalter. Nur das nicht sein Pferd Hufe scharrend vor dem kleinen Häußchen wartet, sondern seine Freundin mit den bepackten Drahteseln, die in den Zug verladen werden müssen. In diesem Moment rollt der Koloss ein. Ok, jetzt ist es zu spät. Dann müssen wir wohl bis morgen warten. Ich überprüfe die Abfahrtszeiten. Erst mithilfe meines Russisch-Buches wird mir plötzlich klar, was die Zeichen auf der eingestaubten Ankunftstafel bedeuten: Ankunft 10:40, Abfahrt 12:45!
Es ist der erste Bahnhof nach der Grenze und nun macht sich ein Polizeitrupp daran erst einmal zwei Stunden lang Gepäck und Passagiere zu kontrollieren. Keiner darf raus, keiner darf rein. Einzig tiefgefrorene Getränke werden von Kindern im Tausch gegen Geld mithilfe von speziellen Konstruktionen durch die kleinen Klappfenster des Zuges gereicht. Zeit genug für den Beamten am Schalter in usbekischer Ruhe unsere Namen an die Zentrale zu morsen. W-A-G-E-N-K-N-E-C-H-T A-L-E-X-A-N-D-E-R T-I-M-M. Ich bin entsetzt. Denn die Morsetaste ist an ein Telefon gekoppelt und ich verstehe nicht, warum man nicht einfach den Hörer in die Hand nimmt, um unsere Namen durchzugeben.
Der Zug gleicht einem Wochenmarkt. neben den Passagieren befinden sich mindestens genauso viele goldzähnige Verkäufer in dem Zug, die sich ohne erkennbares System von einem Ende des Zuges zum Anderen durch den schmalen Gang zwängen. Geldwechsel, Kleidung, Lebensmittel, kühle Getränke, Elektronik, Kinderspielzeug. Gerade wenn man glaubt, es kehre Ruhe ein, macht die Meute kehrt und schiebt und drängt sich wieder in die andere Richtung. Es ist schwülheiß hier drin. Der warme Geruch von Schweiß mischt sich mit dem Bratfett von Schaschlik, Somsa und einer stechenden Note Parfüm, welches eine korpulente Verkäuferin gerade einer anderen Dame anzudrehen versucht. Dennoch bereue ich die Entscheidung nicht, den Zug gewählt zu haben während ich aus dem Fenster die immer gleich aussehende Aussicht betrachte: heißer, glimmender Sand soweit das Auge reicht. Ab und zu werde ich aus meinen Gedanken gerissen, da wieder mal ein Verkäufer “Telefoooon!” schreit, was bei mir jedesmal den Impuls auslöst einen Hörer entgegen zu nehmen.
Lorena: Als der Zug in Kongrad einrollt strömen hunderte Menschen gen Bahnhof, um ihre Angehörigen zu begrüßen. Mich begrüßen nur hunderte Moskitos. Innerhalb von Sekunden fühle ich zig neue Hubel an meinen Beinen. So folge ich, mehr mit dem zerkratzen meiner Beine beschäftigt, als darauf achtend, wo wir hinlaufen, Timm und einem Mann. Er hat uns gerade einen Schlafplatz angeboten. Es geht entlang der Bahn-Schienen, bis die Beiden plötzlich in einem Spalt in der Wand verschwinden. Es ist eine Art “Übernachtungslager” für Gastarbeiter und Durchreisende. Der Schlafplatz kostet gerade mal 2,50 €. Geschlafen wird auf typischen “Tee Betten” unter freiem Himmel. Etwas untypisch, stellen wir zum Schutz vor Moskitos unser Zelt darauf.
Aus Sand wird Sumpf
Auch wenn es hier fast genauso wenig Schatten gibt, wie in der Wüste, wirkt das Fahren durch die grüne Sumpflandschaft wesentlich weniger bedrückend. Doch in einem Punkt wünschen wir uns die leblose Einöde der Steppe zurück: Nun sind wir wieder umgeben von Menschen. Und davon gleich eine ganze Menge! Sie lauern hinter Mauern, Bäumen und Sträuchern. Wir haben das Gefühl keinen Schritt mehr unbeobachtet tun zu können und einen ungestörten Platz für das Mittagsschläfchen zu finden wird zur echten Herausforderung.
Rast in Nukus
In Nukus wollen wir für zwei Tage ausruhen. In einem kleinen Hotel versuchen wir den Zimmerpreis herunter zu handeln, da verfrachtet man uns vor die Tür – naja nicht direkt: Dort steht eine traditionelle Jurte und wenn wir möchten, können wir dort schlafen. Unsere erste Nacht in einer Jurte. Nicht ganz so, wie wir uns es vorgestellt haben, aber trotzdem nett. Das Hotel ist ein Treffpunkt für Reisende. Neben dem lustigen Berliner Alex, verirren sich einige Teilnehmer der Mongol-Ralley und ein weiteres deutsches Radfahrpärchen hierher: Uwe und Evi aus Mannheim – liebe Grüße ans Engelhorn Sports Team! Es ist wie ein Urlaub vom Fahrradurlaub. Eigentlich wollten wir unsere Webseite aktualisieren, doch in komplett Usbekistan ist das Internet abgestellt. Kein Witz – es wird “Examen” geschrieben und um die Studenten am Spieken zu hindern, wurde eben kurzerhand das Land von der Aussenwelt abgekoppelt. So sitzen wir Abends mit den Anderen bei kühlen Temperaturen, Bier und dem usbekischen Nationalgericht Plov zusammen.
WEITER RICHTUNG BUKHARA
Die Zeit drängt. Wir brechen früh auf, fahren im Sonnenaufgang durch die menschenleeren Strassen von Nukus. Lediglich ein paar Jogger und eine Gruppe älterer Männer beim Tai-Chi begegnen uns. Das Wetter meint es gut mit uns, der Wind bläst uns in den Rücken. So radeln wir entspannt bis 11.00 Uhr, wo unser Kilometerzähler bereits 70 km anzeigt. Da wir in dem kleinen Dorf wieder einmal von Menschen umlagert werden, beschließen wir für unser Mittagsschläfchen weiter in die Wüste zu flüchten und dort auf ein schattiges Plätzchen zu hoffen. Wie war das? Die Hoffnung stirbt zuletzt? So weit das Auge reicht nur Einöde. Als wir schon befürchten von der Mittagssonne geschmolzen zu werden, zeigt sich am Horizont ein Gebäude…