KAPITEL 40°C: Hohe Temperaturen
USBEKISTAN

Wir wissen nie genau, wohin uns die Strasse an diesem Tag führt. Wer uns begegnet. Was wir erleben.

Wir wissen nie genau, wohin uns die Strasse an diesem Tag führt. Wer uns begegnet. Was wir erleben.

Ein eher suboptimaler Tag

Der Tag beginnt mit einem Platten. Wertvolle Zeit die wir verlieren, da mit jeder Minute die Temperatur steigt. Als der Reifen nach einigen Kilometern erneut Luft verliert ist auch bei uns die Luft raus. Die morgendliche Motivation an unsere Kilometerleistung von gestern anzuknüpfen weicht der Ernüchterung, dass die Uhr nun schon Elf anzeigt.



Noch ist es angenehm kühl...

Noch ist es angenehm kühl...

Lorena: Am Nachmittag erreichen wir Beruni. Während Timm bei ein paar Männern steht, um heraus zu finden, ob es eine Busverbindung nach Bukhara gibt, kommt ein Mann auf mich zu. Ein in Uzbekistan unübliches Verhalten, da dieser normalerweise zuerst einmal den Mann begrüßt und anspricht und nicht dessen Frau. Doch ich bin Europäerin, was manche Männer aus unerklärlichen Gründen dazu bewegt, ihre Sitten zu vergessen. Dies bestätigt sich auch noch darin, dass er meine Hand nach der Begrüßung länger als nötig festhält.
Als wir weiter fahren, lässt der alkoholisiert wirkende Mann nicht ab von uns. Es gesellt sich sogar noch ein Zweiter dazu. Mit ihren quietschenden Fahrrädern bleiben sie uns dicht auf den Fersen. Genervt stoppe ich abrupt mein Fahrrad und mit “Bye-Bye” und ähnlichen Gesten demonstrieren wir den beiden Männern deutlich, dass sie sich bitte verabschieden sollen. Sie tun so, als würden sie uns nicht verstehen. Eine Polizeistreife hält neben uns – und siehe da – die Männer fahren davon. Der Polizeibeamte fragt uns gelangweilt, ob es ein Problem gäbe und hält es nach unserer Schilderung der Situation wohl nicht für nötig noch mehr Zeit zu investieren. Er fährt davon, und kurz darauf sind die zwei Männer wieder da. Wir stoppen erneut, denn wir befinden uns nun am Ortsausgang und möchten nicht riskieren mit den leicht aggresiv wirkenden Männern in die Einsamkeit zu radeln.
Zwei Frauen sehen, dass es gewisse “Verständigungsprobleme” gibt und kommen hinzu. Ebenso ein Mann auf einem Motorrad. Die jüngere der Beiden spricht Englisch und übersetzt für uns: “Die Herren möchten Geld von Ihnen, dafür dass Sie Ihnen den Weg gezeigt haben!” erklärt sie höflich und etwas naiv. Ich muss mich beherrschen nicht laut zu lachen, was unsere Verfolger nur noch wütender macht. Glücklicherweise lädt uns die in Bishkek studierende Leila in diesem Moment zu sich nach Hause ein und wir “flüchten” mit ihr zusammen in Richtung der Wohnhäuser, während der Motorradfahrer die nun wütenden Männer davon abhält handgreiflich zu werden. Der aufgebrachte Verfolger fährt mit grimmigem Blick an uns vorbei und macht uns mit erhobenem Stinkefinger klar, dass er die internationale Zeichensprache wohl doch recht gut beherrscht.



Zum Abendessen wird uns ein usbekisches Festmahl serviert.

Zum Abendessen wird uns ein usbekisches Festmahl serviert.


Die Tafel wird sonst nur zu besonderen Familien-Anlässen genutzt. Von der Wand schauen uns die Ur-Groß-Eltern von Leila entgegen...

Die Tafel wird sonst nur zu besonderen Familien-Anlässen genutzt. Von der Wand schauen uns die Ur-Groß-Eltern von Leila entgegen...


Ein Familienfoto zur Erinnerung: Ausländische Gäste waren hier noch nie!

Ein Familienfoto zur Erinnerung: Ausländische Gäste waren hier noch nie!


Aufstehen!

Aufstehen!


Danke für die großzügige Gastfreundschaft und die Rettung in Not!

Danke für die großzügige Gastfreundschaft und die Rettung in Not!


Trotz usbekischer Hilfe zahlen wir für die Busfahrt den "Touristenpreis"...

Trotz usbekischer Hilfe zahlen wir für die Busfahrt den "Touristenpreis"...

Eine Busfahrt die ist lustig…

Nachdem sich ein kleiner Zug Verkäufer mit allerlei Leckereien durch den Bus gepresst hat, kann es endlich losgehen.
Auf uns warten 8 Stunden Fahrt. Doch schon nach einer halben Stunde stoppt der Bus: Mittagspause! Nachdem alle Einkäufe erledigt sind und Ersatzreifen aufgeladen wurden, geht es dann endlich weiter. Zum Glück führt die Straße durch die totale Einöde, sonst würde die Fahrt beim Shoppingwahn der Mitfahrer wohl einige Tage dauern. Entspannt lehne ich mich zurück und will mir gerade die Kopfhörer in die Ohren stecken, als es einen kleinen Tumult zwei Reihen hinter uns gibt. Einer der Fahrgäste hat sich soeben übergeben. Mit qualmenden Reifen kommt der Bus erneut zum stehen. Durch die Bremsaktion bahnt sich das Erbrochene seinen Weg nach vorne. Es liegen immernoch 7 Stunden Busfahrt vor uns und ich frage mich, ob ich den Geruch so lange ertragen kann. Doch der Geruch wird von Schweiss, Somsa und Schaschlik überdeckt. Kurz vor Sonnenuntergang kommen wir in Bukhara an. Fast! Ich ahne nichts Gutes, als wir an einer verlassenen Kreuzung halten und als Einzige den Bus verlassen. Verunsichert frage ich den Busfahrer, wie weit Bukhara denn noch entfernt sei. “10Km” sagt der Babbsack beschämt und schliesst die Türen, um nach Tashkent weiterzufahren. Im Dunkeln rollen wir mit schlechter Laune durch die Vororte Bukharas, aber finden erstaunlich schnell ein nettes Plätzchen neben einem Hochzeits-Saal. “Gute Nacht, Timm-Boy” – “Gute Nacht, Lorena.”



Auf der usbekischen Autobahn in Richtung Bukhara! - Und wo schaut der Fahrer überhaupt hin?

Auf der usbekischen Autobahn in Richtung Bukhara! - Und wo schaut der Fahrer überhaupt hin?

Bukhara

Man könnte davon ausgehen, dass man in Usbekistan wohl kaum auf bekannte Gesichter trifft. Schon gar nicht in der Stadt Bukhara, in der es Hotels wie Sand am Meer gibt. Doch als wir den Innenhof betreten entdecken wir zwei Fahrräder – Evi und Uwe! Zusammen treten wir die Stadtbesichtigung an.
Bukhara – in einer großen Oase mitten in der Sandwüste Kisil Kum – ist eine Metropole meisterlicher mittelasiatischer Architektur deren Altstadt von der UNESCO zum Weltkulturerbe gezählt wird. Sie ist über 2500 Jahre alt und war ein wichtiger Knotenpunkt an der Seidenstraße. Trotz einer langen sowjetischen Herrschaft ist Bukhara eine orientalische Stadt geblieben, die vom Islam geprägt ist. Die Zitadelle Ark (die einst Palast der Herrscher und Sitz der Regierung war) stammt aus dem 7. und 8. Jahrhundert. Damals wurde auch das fast 50 Meter hohe Kalon-Minarett gebaut. Auf dessen Spitze brannte damals Tag und Nacht ein Feuer: Es war der Leuchtturm für die Kamel-Karawanen, die durch die Wüste nach Bukhara zogen. Aber Bukhara war immer auch ein Zentrum der Wissenschaften. Die Medrese Mir-e-Arab ist die einzige Hochschule in Zentralasien, an der seit über 400 Jahren ununterbrochen moslemische Geisteswissenschaften gelehrt werden.
Die Bauwerke sind eindrucksvoll mit Ornamenten verziert und kunstvoll geschnitzten hölzernen Türen. Leider bewegen sich in den Strassen, mehr Touristen als Einheimische, worunter die orientalisch mysthische Athomphäre leidet und man den Hauch der Vergangenheit nur noch erahnen kann. Doch auch wir sind Touristen und Teil der Outdoor-Sandalen und Zipp-Off-Hosen tragenden, fotografierenden Masse. Einzig in den Gassen zwischen den Lehmhäusern nimmt das “normale” Leben seinen gemächlichen Gang.







Lorenas Kleiderschrank bietet so viel Auswahl, dass sie das farblich passende Outfit für jede Stadt dabei hat.

Lorenas Kleiderschrank bietet so viel Auswahl, dass sie das farblich passende Outfit für jede Stadt dabei hat.


Teekannenschmiede

Teekannenschmiede


Die Verkäufer sind der Touristen müde. Gelangweilt gähnen sie die Preise.

Die Verkäufer sind der Touristen müde. Gelangweilt gähnen sie die Preise.


















Den Kids dienen die Dächer der Altstadt als Spielplatz.

Den Kids dienen die Dächer der Altstadt als Spielplatz.


Uwe, Evi, Lorena und Timm

Uwe, Evi, Lorena und Timm

Völlig gerädert

Lorena: Wir brechen am Nachmittag von Bukhara auf, besichtigen noch das eindrucksvolle Mausoleum von Bahauddin Naqshbandi, welches auf dem Weg liegt.
Da wir auch bei einsetzender Dämmerung keinen Schlafplatz finden können, klopfen wir kurzerhand an ein Tor. Einige Frauen stehen neugierig vor mir und fangen an zu kichern und zu tuscheln, als ich in gebrochenem Russisch um Erlaubnis frage im Garten unser Zelt aufzuschlagen. Schüchtern und via Zeichensprache bitten sie uns in den Hof und breiten einen großen Teppich auf dem steinernen Boden aus. Unser Schlafplatz. Einige Meter weiter schaut eine Kuh aus ihrem Stall dem Treiben zu. Auch wenn man hier wunderbar unter freiem Himmel schlafen kann, bauen wir unser Zelt auf, um einen Schutz vor den Moskitos zu haben. Ich bin völlig erschöpft und zu müde noch etwas zu essen. Verkrieche mich in das Zelt, während Timm noch eine Weile die Damen unterhält. Für sie ist unser unerwarteter Besuch ein echtes Ereignis und eines der Mädchen kann Dank russisch-englischem Phrasen Buch zumindest einseitig mit uns kommunizieren. Unsere Antworten sind leider auf Lachen und Nicken beschränkt. Der steinerne Boden unter uns bleibt die ganze Nacht warm und fühlt sich an wie eine Ganz-Körper-Lavastein-Heizung. Eine kühlende Wirkung wäre uns lieber! Seufz.



Das Mausoleum von Bahauddin Naqshbandi

Das Mausoleum von Bahauddin Naqshbandi










Für die Frauen ist unser Besuch ein aussergewöhnliches Erlebnis

Für die Frauen ist unser Besuch ein aussergewöhnliches Erlebnis

Am nächsten Morgen fühle ich mich, als wäre in der Nacht eine Dampfwalze über mich gefahren: Ich bin unglaublich müde und kraftlos. Mir ist übel und gleichzeitig verspüre ich riesigen Hunger. Da ich mich kaum auf dem Fahrrad halten kann, bitte ich Timm schon nach kaum einem Kilometer anzuhalten, damit wir etwas Frühstücken. Doch ich habe starke Halsschmerzen, so dass ich außer ein wenig Wassermelone nichts herunter gewürgt bekomme. Die Weiterfahrt ist eine Qual. Mein Blick wandert auf die Uhr des Kilometerzählers. Ich sehne mich nach der Mittagspause doch die Digitalanzeige zeigt gerade einmal 8:00 Uhr an.
Und auch nach einer weiteren Pause und etwas Schlaf ändert sich nichts an meiner Verfassung. Ich habe einfach keine Kraft in meinem Körper! Auf einer Wiese mit schattenspendenden Bäumen schlagen wir um elf Uhr unser Lager auf. Ich glühe. Das Fieberthermometer bestätigt den Verdacht: 38’Grad. Wird wohl von der Sonne sein. Kalter Lappen auf die Stirn. Ausruhen.
Am Abend fahren wir weiter. Doch immer noch habe ich das Gefühl es zieht mir den Boden unter den Rädern weg. Selbst die geliebte Cola kann nicht helfen, den Kreislauf in Schwung zu bringen. Zusammengekauert sitze ich auf einer kleinen Steintreppe. Ein Mann bemerkt, dass es mir nicht gut geht, schickt einen Jungen zur Apotheke, um mir ein Aspirin zu besorgen und lädt uns ein, bei ihm zu übernachten. Sein Haus sei nur 4 Km entfernt! Ja, das ist nicht weit, erscheint mir aber in diesem Moment beinahe als Unmöglichkeit! Wir schieben unsere Räder hinter ihm her. Als er keine zehn Meter weiter plötzlich anhält und uns zu Schaschlik einlädt. Das Angebot eines Usbeken abzulehnen ist eine Kunst für sich, die wir absolut nicht beherrschen und um ihn nicht aufs Tiefste zu Beleidigen willigen wir ein. Während wir kurz darauf “gezwungenermaßen” bei Fleischspießen und Bier sitzen läuft mir kalter Schweiß den Rücken herunter und ich fange an bei 30’Grad Aussentemperatur zu frieren.
Die Familie empfängt uns herzlich. Ehefrau, Sohn, Bruder und dessen Kindern sowie Großeltern leben hier unter einem Dach. Auf ihre Kuh sind sie auch sehr stolz und bieten für den nächsten Morgen frische Milch an. Daneben liegt der wimmernde Hund, welcher heute von einem Auto angefahren wurde und sich nicht mehr bewegen kann. Ein Leidensgenosse. Ich wimmere auch und wecke mitten in der Nacht Timm, da das Fieberthermometer nun fast 40’Grad anzeigt. Zum ersten Mal wünsche ich mir ernsthaft zu Hause zu sein, anstatt mitten im Nirgendwo in Usbekistan zu liegen und nicht zu wissen, was mit mir los ist!


Timm: Es ist kein schönes Gefühl hilflos neben Lorena in dem “Teebett” zu liegen. Nicht wissend, wo nach ich suche, blättere ich durch das Buch “Wo es keinen Arzt gibt” des Reise-Know-How Verlages. Auch wenn, laut des Buches, in Usbekistan nur selten Fälle von Malaria bekannt werden, bin ich nicht wirklich beruhigt. Mehrmals die Nacht mache ich mich auf den Weg zum Brunnen, um Lorenas Wadenwickel zu erneuern. Über den kleinen erdigen Trampelpfad durch das 5×5 Meter große Maisfeld im Innenhof, vorbei an dem herzzerreisend wimmernden Hund der mich flehend anschaut, bis hin zur Pumpe, wo ich die beiden Lappen mit kaltem Wasser auswasche. Am nächsten Morgen ist das Fieber zum Glück auf 38°C gesunken. Wirklich besser fühlt sich Lorena, aber leider immer noch nicht.



Danke für die Hilfe und die Unterkunft!

Danke für die Hilfe und die Unterkunft!

Mit dem Zug nach Tashkent

Lorena: Mit letzter Kraft brechen wir auf, um auf dem direkten Weg mit dem Zug nach Tashkent zu fahren, damit ich mich dort auskurieren kann. Schon die zehn Kilometer zum Bahnhof sind eine enorme Anstrengung. So bin ich wenig begeistert, als wir erfahren, dass der Zug erst um 21:00 Uhr abfährt und wir den Tag in der Hitze verbringen müssen. Die nächste Hiobsbotschaft folgt kurz darauf: Es gibt keine Tickets. Erst Morgen wieder. Gleiche Uhrzeit!
Timm: Eine Frau am Schalter erbarmt sich unser, und bietet uns an die Nacht bei ihr zu verbringen. Alles ist besser, als in der Sonne zu schmoren. Ihr Mann kennt einen Wachmann des örtlichen Bahnhofs, welcher wiederum einen Schaffner in dem besagten Zug kennt. Nach zig Telefonaten und einer hitzigen Diskussion auf einem Abstellgleis zwischen einigen Lehmbauten, sollen wir doch noch am selben Abend mit bepackten Rädern zum Bahnhof kommen. Das “Ticket” jedoch nicht am Schalter, sondern direkt bei seinem Bekannten im Zug bezahlen. Als der Zug einfährt, bleiben genau zwei Minuten das komplette Gepäck und die Räder hineinzuverfrachten! Doch das männliche Zugpersonal hilft tatkräftig mit (schließlich verdienen sie bei dieser Zugfahrt durch uns ja auch etwas Extra-Geld) und so finden wir uns kurz darauf müde aber glücklich im Zug nach Tashkent wieder. Die komplette Nacht verbringen wir schlafend in der Kabine des Angestellten – der Bett gegen Geld getauscht hat – zu Zweit auf einer 80cm-Britsche. Nur als die Bahnhofsstation “Samarkand” durch die Lautsprecher angekündigt wird, horchen wir kurz auf und bedauern, dass wir die Stadt nicht besuchen konnten.







Müde und ausgepowert...

Müde und ausgepowert...


Um 6:00 Uhr erreichen wir im Sonnenaufgang Tashkent...

Um 6:00 Uhr erreichen wir im Sonnenaufgang Tashkent...