KAPITEL 47: China!!!
Xinjiang, Kashgar

Auf dem Weg ins Land der aufgehenden Sonne... äh nee das war ja Japan! Wir wollen nach China!

Auf dem Weg ins Land der aufgehenden Sonne... äh nee das war ja Japan! Wir wollen nach China!

Die Chinesische Grenze

Timm: Wir müssen schieben, uns fehlt die Kraft, obwohl der Anstieg fast lächerlich ist. Wir befinden uns in der letzten Kurve vor der chinesischen Grenze. Im Zuge unserer Reisevorbereitungen haben wir viele Schauergeschichten über Radreisende in China gelesen. Dem entsprechend mulmig ist unser Gefühl, als wir uns die letzten Meter doch noch auf die Räder schwingen. Das lassen wir uns nicht nehmen. Der “Zieleinlauf” soll nicht schiebend erfolgen! Mit großem Respekt passieren wir demütig das Tor in eine andere Welt. Was erwartet uns? Was erwarten wir? Polizeibeamte die Tage lang stramm stehen können, ohne eine Miene zu verziehen? Zensur? Kein Facebook! Gehirnwäsche, Meinungsmache und Spitzelei á la Stasi?
Doch die Grenzbeamten scheinen noch Nichts von den Klischees gehört zu haben. Sie spielen eifrig Basketball in oliv-grünen Uniformen und bemerken uns beinahe nicht, als wir lautlos an ihnen vorbeirollen. Das wars? Sind wir jetzt in China? Der Weg führt über eine staubige Piste entlang verlassener Grenzgebäude. Haben die Mittagspause? Sollten wir ohne Stempel weiterfahren, oder warten bis vielleicht noch ein “Stempler” auftaucht? Wir entschliessen uns fürs Weiterfahren. Nach zwei Kilometern taucht schließlich doch noch das eigentliche Grenzgebäude auf, dass China würdig zu representieren versucht: Groß!
Wir drängeln uns in alter Manier vorbei an den wartenden Trucks. Von Weitem werden wir schon herangewunken. Touristenbonus auch in China? Wohl eher nicht. “Open your Bags!” Sagt einer der Beamten mit drängendem militärischem Ton und versteinerter Miene. “Do you have guns?” Wäre einer der Sätze gewesen, die man normalerweise an Grenzübergängen zu hören bekommt. Doch bei der Frage: “Do you have books?” bin ich etwas irritiert. Ja, das ist das China, das ich erwartet habe!



Das letzte Dorf vor der Grenze: Und das letzte Foto. Wir wollen im Grenzbereich keinen Ärger provozieren.

Das letzte Dorf vor der Grenze: Und das letzte Foto. Wir wollen im Grenzbereich keinen Ärger provozieren.


Es ist noch früh am Morgen. Wir wollen unsere letzten kirgisischen Som loswerden, daher holt einer der Jungs extra seine Mutter, die für uns ihren Laden öffnet. Sehr aufmerksam!

Es ist noch früh am Morgen. Wir wollen unsere letzten kirgisischen Som loswerden, daher holt einer der Jungs extra seine Mutter, die für uns ihren Laden öffnet. Sehr aufmerksam!

Verbannung in den Truck

Timm: Leider dürfen wir die nächsten Kilometer nicht mit dem Fahrrad fahren, da die Chinesen Fahrradfahrer in Grenznähe nicht besonders toll finden. Deshalb werden wir mit wartenden Truckern verkuppelt, die nicht gerade glücklich darüber sind, Taxi für Touristen zu spielen. Soweit so gut. Doch der Knaller: Es darf immer nur eine Person mit einem Trucker fahren. Nachdem wir nicht die beste Erfahrung mit lüsternen Asiaten gemacht haben, finden wir den “Vorschlag” Lorena die nächsten 6 Stunden zu einem einsamen Trucker zu stecken – ja, so lange braucht man für die 140 Kilometer lange Strecke – nicht wirklich prickelnd. Doch viel Entscheidungsfreiraum bleibt uns nicht, denn die Beamten und Trucker drängen eingehend. Wieder einmal muss Alles schnell gehen. Die Fahrräder werden notdürftig vertaut und ehe ich mich versehe düst Lorena mit einem Truck und dem gesamten Gepäck ins bevölkerungsreichste und viertgrößte Land der Welt.
Erst als sich die Hektik legt und auch mein Truck sich in Bewegung setzt, realisiere ich, dass ich nun die nächsten 6 Stunden Zeit haben werde mir Sorgen zu machen: Wo werden wir hingebracht? Kommen wir Beide am gleichen Ort an? Werden wir uns wieder finden? Hat Lorena Probleme mit dem Fahrer, oder anderen Leuten? Wo bekommen wir Yuan her? Werden die Räder überleben? Findet Lorena den Sprachführer, den ich in meiner Tasche versteckt habe? Kommen wir noch vor Dunkelheit an?
Um 19 Uhr Pekingzeit komme ich in Neu Ulugchat beim Zoll an. Hier wird man schon erwartet und ich bekomme endlich den ersehnten Einreisestempel. Die Beamten sind völlig überrascht, dass ich nur mit einer Tüte Kekse und einer leeren Packung Orangensaft reise. Verdammt harter Bursche eben! Doch innerlich bin ich ziemlich nervös und aufgebracht. Mittlerweile ist es 20 Uhr. Die Sonne geht langsam unter und Lorena ist immer noch nicht da. Die Beamten machen Feierabend und schließen die Schranken. Ich schaue die Straße entlang, aus der wir gekommen sind. Von Lorena keine Spur. Tief über der Straße hängt dunkelrot die untergehende Sonne. Sollte ich mir ein Taxi nehmen und ihr entgegenfahren? Ich habe aber keine Yuan. Einer der Zöllner hat Mitleid. Als er Feierabend macht bietet er mir sein Zöllnerhäusschen an. Auch wenn es nicht beheizt ist, so werde ich zumindest heute Nacht nicht erfrieren.



Gefangen im Truck: China zieht am Fenster vorbei

Gefangen im Truck: China zieht am Fenster vorbei

Lorena: Und dann ist Timm weg. Großartig! Kein Geld. Kein Telefon. Kein Wort Chinesisch! Der Fahrer wagt den Versuch einer Unterhaltung: Ob ich verheiratet bin? – Ja! ist meine knappe Antwort. So verläuft die Fahrt recht wortlos und ich versuche nicht zu oft auf die Uhr zu schauen, so dass die sechs Stunden schneller rum gehen.
Dann hält er plötzlich an, steigt aus und verschwindet aus meinem Blickfeld. Als er wieder an der Tür erscheint, bittet er mich, mir den Eimer zu meinen Füßen zu reichen. Ich lehne mich aus dem Fenster und sehe den Grund dafür: Eine sich schnell ausbreitende Pfütze Benzin bahnt sich ihren Weg über die Strasse. Na super! Ein paar Truckkollegen tauchen auf und versuchen mit vereinten Kräften, Eimern und Flaschen das Benzin aufzufangen. Endlich geht es weiter. Da sich die Beifahrertür nicht öffnen lässt, muss ich auf der Fahrerseite in den Truck klettern. Und bekomme – schwups – einen Klaps auf den Hintern! Ich fasse es nicht! Was ist eigentlich fehl gelaufen bei der Programmierung des männlichen Gehirns? Ich strafe den Fahrer mit einem mahnenden Blick – was bleibt mir auch anderes übrig? Ich will ja irgendwie am Ziel ankommen und verstehen tut mich hier auch keiner! Dennoch entwickle ich einen Notfallplan: Messer und Pfefferspray griffbereit in der Tasche und das Fenster weit offen.
Als wäre das nicht genug, streift der Truck kurz darauf auch noch einen Kleintransporter. Hangabwärts kommen wir zum stehen. Eine Menschentraube bildet sich und starrt gebahnt auf die zwei Fahrzeuge, die ineinandergekeilt mitten auf der Fahrbahn stehen. Genau so verharren alle für etwa eine halbe Stunde. Nichts tut sich. Dann – wie auf ein unsichtbares Signal – steigen die Leute wieder ein und fahren weiter. Den Sinn des Wartens habe ich bis jetzt nicht verstanden.
Entnervt, müde und hungrig treffe ich endlich am Immigrationsgebäude ein. Ich bin überglücklich als ich Timm entdecke.
Die nächste Überraschung folgt, als wir die Türen des LKW-Containers öffnen: Unsere Räder haben sich ineinander und mit dem Truck verkeilt und liegen begraben unter einer dicken Staubschicht. Die Grenzbeamten geben sich sichtlich Mühe uns zu helfen und sind äußerst freundlich. Trotz ihrer Bemühungen werden sie jedoch mit meiner mittlerweile überaus schlechten Laune konfrontiert…



Zum Zelten haben wir keinen Nerv mehr: Ab ins nächste Hotel.

Zum Zelten haben wir keinen Nerv mehr: Ab ins nächste Hotel.

Wodka und Trucker

“Das Grenzgebäude ist schon geschlossen”, mit dieser Botschaft empfängt mich Timm. Und ich sehe uns schon vor dem Gebäude Zelten. Doch für verspätete Touristen – also mich – wird eine Ausnahme gemacht. Die Überstunden schiebenden Beamten sind sehr freundlich und erledigen schnell in einem akzeptablen Englisch die Formalitäten. Dann stehen wir da. Eingestaubt. Fremd. Nicht in der Lage ein einziges chinesisches Zeichen zu entziffern. Wir sind erschöpft – nicht körperlich, sondern nervlich. Wir wünschen uns Nichts mehr als eine ruhige Nacht! So beschließen wir, uns den Luxus eines Hotels zu gönnen. Die Auswahl ist nicht groß, denn in China werden nur in auserwählten Hotels Touristen geduldet. Die hilfsbereiten Grenzbeamten schreiben uns den Namen in chinesischen Schriftzeichen auf und wir schieben – Fahren ist leider nicht mehr möglich – unsere verdreckten und kaputten Räder 4 km durch die Dunkelheit auf die in der Ferne leuchtende Stadt zu. Fazit: Eine Speiche gebrochen, zwei weitere verbogen, Felge zerkratzt, die Rad-Taschen durchgescheuert, Tonangel kaputt und Lorenas Vorderbremse verliert Öl.
Als wir nach einem kurzen Stopp im Hotel, eingestaubt, müde und entnervt wie wir sind, auf Essenssuche an einigen kleinen Restaurants vorbei schlendern, winken uns plötzlich zwei bekannte Gesichter zu: Unsere Truckfahrer! Meiner ist zum Glück nicht dabei, so beschließen wir dem einladenden Winken zu folgen und nehmen an ihrem Tisch Platz. Wir haben ein schlechtes Gewissen: Timm fragt, was er dem Fahrer für die Fahrt schuldig ist. Obwohl die “Taxi-Fahrt” eigentlich kostenlos ist, freuen sich die Fahrer, die zu diesem Service gezwungen werden, natürlich über ein kleines Trinkgeld. Nach kurzem Überlegen zeigt er dann auf sein Essen. Fairer Deal, wir willigen ein.
Schnell wird für uns noch eine riesige Platte “jiao tse” (gefüllte Nudeltaschen) nachbestellt. Dadurch, dass die Männer oft nach Osh in Kirgisistan fahren, sprechen sie auch ein paar Worte Russisch, so dass wir uns recht gut verständigen können. Hinzu kommen noch zwei Flaschen chinesischer Schnaps (Baijiu) und es entwickelt sich ein lustiger Abend. Am Ende bestehen die beiden Männer darauf alles zu zahlen und laden uns sogar zu sich und ihren Familien nach Urumqi ein! Etwas beschwipst und mit vollem Magen schwanken wir ins Hotel zurück und schlafen tief und fest bis zum nächsten Morgen. Kein schlechter Abgang für diesen miesen ersten Tag in China.



Unser Stammlokal

Unser Stammlokal






Frittiertes Allerlei

Frittiertes Allerlei

Alles ist anders!

Kulinarisches, Stäbchen, Hightech, Elektroroller, Riesengebäude, Währung, Verkehrsregeln (also Keine), Supermärkte, Sprache, Gestik, Mimik, Sitten, Bräuche, Manieren und vieles mehr. Auch dadurch, dass es uns nicht erlaubt war mit dem Fahrrad nach China hinein zu radeln, sondern unsanft mit dem Truck hineinkatapultiert wurden, stehen wir nun in einer uns fremden Welt. Neue Gerüche, neue Gesichter, unbekannte Zeichen und Töne. Wir sind überwältigt von der Flut aus Eindrücken. Aber es weckt auch den Entdeckergeist…



Wer kann das lesen?

Wer kann das lesen?

So schließt sich der Kreis

Auf dem Weg nach China trifft man einige “Radfahrkollegen”. Was immer nett ist, denn es wird geplaudert und sich ausgetauscht. Und obwohl die Welt eigentlich groß genug ist, fühlt man sich doch wie eine kleine Gemeinschaft.
Auf dem Weg nach Kashgar holen wir überraschenderweise ein Schweizer Pärchen ein. Wir müssen schmunzeln, denn obwohl uns Marlen und Urs noch nie gesehen haben, wissen wir doch mehr über die Beiden als sie vermuten!
In Kazarman hörten wir, dass sie sich für einige Tage den acht Franzosen angeschlossen hatten. Von einem deutschen Radfahrer, den wir etwas später in Jalalabad trafen, dass Marlen für ein paar Tage alleine auf der selben Strecke wie wir unterwegs war. (Da haben wir uns unbekannterweise ernsthaft Gedanken um sie gemacht, denn dieser Streckenabschnitt ist ziemlich einsam und die Strasse schwierig zu fahren – Wir sind froh, dass sie nun putzmunter vor uns steht). Und auch das Gerücht, dass zwei Backpacker in Bishkek auf Fahrräder umgesattelt haben, bestätigt sich nun. Denn das waren auch: Marlen und Urs!
Und wir haben noch eine Überraschung: Dank unseres GPS wissen wir, dass es ab jetzt nur noch Berg ab Richtung Kashgar geht. Das freut die Beiden sehr, da sie noch zwei 3000er Pässe vor sich vermuteten und wie wir, nach der ruckeligen Truckfahrt, etwas orientierungslos waren.
Gemeinsam radeln wir weiter und der Radfahrtratsch geht weiter: Etwas traurig macht uns die Neuigkeit, dass der Französe Ives-Marie, den wir in Baku kennengelernt haben seine Reise wohl in Bishkek beendet hat.