Allein in Kashgar
Es fühlt sich schon komisch an, als ich allein vom Flughafen zurück zum Hostel fahre. Wenn man über 7 Monate nahezu 24 Stunden zusammen verbringt, alle Erlebnisse und Erfahrungen teilt, Entscheidungen immer zu zweit trifft (naja manchmal!), merkt man schnell, dass jemand fehlt! Aber es tut gut, nach so einer langen Zeit des Reisens mal etwas länger zu rasten und einige Tage “Freizeit” zu haben, um Kashgar zu entdecken:
Kashgar, das ist die ursprüngliche Hauptstadt der Uiguren, einstiges Handelszentrum an der Seidenstraße und Wiege islamischer Zivilisation in Zentralasien. Heute gehört die Stadt zu China. Sie liegt am Rand der krisengeschüttelten autonomen Region Xinjiang, ganz im Nordwesten der Volksrepublik. Noch erinnern die belebten Basare, Moscheen und Karawansereien an die glorreichen Zeiten, als sich Handelsreisende aus aller Welt in Kashgar trafen, um zu handeln, zu tauschen oder nur zu rasten. Durch ihre Lage, nahe der Grenzen zu Tadschikistan, Afghanistan, Pakistan und Indien war die Wüstenstadt über Jahrhunderte ein Verkehrsknotenpunkt an der Seidenstraße, dem Netz aus Handelsstraßen, das Asien mit Europa verband. Über sie wurden Seide, Gold und Gewürze zwischen den Kontinenten hin- und hertransportiert.
Kashgars Altstadt
Auszug aus dem Tagesspiegel, 10.07.2009 von Peter von Becker
Fotos zeigen den historischen Kern des derzeit von etwa 350 000 Menschen bewohnten Kashgar als dichte, baulich weitgehend noch homogene Altstadt mit traditionellen Lehm- und Ziegelhäusern, mit schön ornamentierten Wohn- und Prachtbauten im spitzbogigen, von Europäern als maurisch empfundenen Stil der islamischen Architektur. Im nächsten Vierteljahr sollen nun tausende Häuser abgerissen werden: auf Anordnung der chinesischen Provinzregierung. (…)
Die Zerstörung von Kashgar ist auch ein Fall für die Unesco. Die Stadt gehört zwar nicht zu den Weltkulturerbe-Stätten, weil China als nationaler Antragsteller überwiegend nur Orte bei der Unesco anmeldet, die weitgehend unbewohnt sind und für industriepolitische oder stadtpolitische Projekte nicht infrage kommen. Einem anderen Bericht zufolge wurde Kashgar sogar wieder von einer regierungsoffiziellen Anmeldungsliste gestrichen. Historische Stätten an der Seidenstraße gelten bei der Unesco, deren Mitglied China ist, generell als schützenswertes „Menschheitserbe“.
Die chinesischen Behörden argumentieren, dass in Kashgar anstelle der Altbauten für umgerechnet etwa 440 Millionen Dollar erdbebensichere Wohnungen für 50 000 uigurische Familien, also für rund 220 000 Menschen entstünden. Bewohner Kashgars bezweifeln diese Begründung. „Unsere Häuser haben 2000 Jahre lang Erdbeben widerstanden“, zitiert eine Reporterin der Londoner „Times“, die im Juni Kashgar bereiste, einen der künftig Vertriebenen. Asgar Cam, seit über 20 Jahren in München im Exil lebender Uigure und Vizepräsident des „Weltkongresses der Uiguren“, sagte dem Tagesspiegel: „Die historischen Lehmbauten sind viel sicherer als die Betonhäuser der Chinesen. Das haben schon frühere Beben gezeigt. In Wirklichkeit geht es darum, das alte Basarviertel mit seinen engen, winkligen Gassen abzureißen. Dort ist für die Sicherheitskräfte die Überwachung schwierig. Die chinesischen Pläne sehen nun breite, gerade Straßen mit linear aufgereihten Betonbauten und überall installierten Überwachungskameras vor.“ (…)
China will für Touristen künftig nur noch eine kleine „Museumsinsel“ in Kashgar erhalten.
Privater Tourguide für Kashgar
Da Timm zur Zeit in Deutschland wieder alle Köstlichkeiten genießen darf, sündige ich und gönne mir, statt chinesichem Essen einen Hamburger und Pommes. Während ich mampfend in dem Fast-Food-Restaurant sitze, gesellt sich eine Chinesin zu mir an den Tisch. “Nicht schon wieder” denke ich etwas genervt, denn erst gestern hat sich ein junges Pärchen zu mir an den Tisch gesetzt – sprach dazu kaum ein Wort Englisch – und schaute mir beim Essen zu. Schließlich wollten sie dann noch ein gemeinsames Foto.
Die Chinesin erzählt mir, dass sie Tourguide in Kashgar ist. Und wenn ich Hilfe brauche, kann sie mich gerne begleiten. Ein wirklich nettes Angebot. Dennoch versuche ich es mit einer Ausrede zu umgehen, da ich wirklich todmüde vom vielen Herumlaufen in Kashgar bin. Sie bietet sich für den nächsten Tag an und mir ist es unmöglich auch das auszuschlagen.
Als ich am nächsten Tag erholt aufwache, bin ich dankbar für die Verabredung. Schließlich werde ich mehr als eine Woche in Kashgar verbringen und bin froh etwas unternehmen zu können. Marmo wartet vor der Moschee. Sie drückt mir eine riesige Tüte Obst in die Arme und ich verstehe mal wieder nicht, warum sie mir so viel Gastfreundschaft entgegenbringt.
Wir schlendern durch die Stadt, probieren eine kulinarische Köstlich… äh Dinge aus, fahren Riesenrad und sie versucht mich – leider erfolglos – in ihre Universität einzuschleusen. Ein bisschen erfahre ich auch von ihrem Privatleben: Ihr Freund ist Buddhist, sie Muslimin. Beide sind nicht wirklich gläubig, doch ihre Eltern dafür sehr. So ist eine Heirat nahezu ausgeschlossen. Marmo kommt eigentlich aus Urumqi, der Hauptstadt der Provinz Xinjiang. Deswegen ist es ihr auch oft unmöglich die Uiguren in Kashgar zu verstehen, welche eine eigene Sprache sprechen.