Baku
Wir erreichen Baku und das Kaspische Meer. Urplötzlich taucht nach der sandigen Einöde die Kulisse der Stadt vor uns auf. Ein schönes und beschwingendes Gefühl – denn es bedeutet: Wir haben etwa die Hälfte der Strecke nach China hinter uns gelegt! Irgendwie verrückt. Wir sind tatsächlich mit dem Fahrrad hierher gefahren! Nachdem wir eine Weile durch dörflich anmutende Vorstädte fahren, wandeln sich die Häuser nach und nach in moderne Gebäude. Die Altstadt Bakus überrascht uns und weckt erstmals Gedanken an 1001 Nacht.
Im Dezember des Jahres 2000 wurde sie auf die Weltkulturliste der UNESCO gesetzt. Eine imposante Stadtmauer aus hellem Stein (Erbaut im 11. Jhd.) umgibt die Altstadt, in der man sich in engen, schattenspendenden Gassen wiederfindet, umgeben von historischen Bauwerken, uraltem Kopfsteinpflaster, belebten, orientalisch anmutenden Teehäusern, sowie wunderschönen kleinen Moscheen und zwei alten Karawansereien – alte Herbergen für durchziehende Händler mit typisch gewölbten Dächern und faszinierenden Innenhöfen. Im selben Jahr erschütterte ein verheerendes Erdbeben der Stärke 6,7 auf der Richterskala die aserbaidschanische Hauptstadt. Eine Folge war die Beschädigung mehrerer Gebäude der malerischen Altstadt, die darauf im Jahre 2003 vom Welterbekommitee auf die von der UNESCO geführte Rote Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt wurde. Weitere Gründe für den nötigen Schutz der Altstadt waren auch die vermehrten Abrisse zahlreicher historischer Gebäude, die Niederlassungen von internationalen Unternehmen weichen mussten. Darauf sank die Zahl der Altstadtbewohner von etwa 5.000 auf ungefähr 3.200 ab.
Baku hat in den letzten Jahren einen rasanten Bauboom erlebt, finanziert durch Ölmilliarden. Hunderte neuer Hochhäuser und Immobilienpreise auf dem Niveau von London oder New York. Auch der “Crystal Hall” mussten für den Eurovision-Song-Contest blockweise Wohnhäuser weichen. Oppositionelle sagen, dass im letzten Jahr in Baku 20.000 Menschen ihre Wohnungen verloren haben.
Azadliq – “Freiheit“ heißt ironischerweise der Name des Hauptplatzes von Baku auf Deutsch. Augenscheinlichstes Bauwerk des Platzes ist das Regierungsgebäude, das sich in seiner Mitte erhebt. Der riesige Platz misst eine Fläche von etwa 17 ha und ist nach dem Platz des Himmlischen Friedens im chinesischen Bejing der größte der Erde.
Unterkunft 1: Caspian Hostel
Großstädte sind mittlerweile kein Problem mehr. Wir genießen die Staus, und schlängeln uns unter neidischen Blicken und hupenden Autos in Richtung Innenstadt.
Orkhan erwartet bereits unseren Anruf. Zehn Minuten später steht sein Vater vor uns. Er geleitet uns unter eingeschalteter Warnblinkanlage bis zur Altstadt, wo uns der Besitzer des Caspian Hostels persönlich abholt. Wir verabreden uns mit Orkhan für den Abend und verschwinden mit dem versoffenen, unmotivierten Hausherren im Labyrinth der Altstadt. Das Hostel befindet sich in einem winzigen Hinterhof, über unseren Köpfen schweben frisch gewaschene, weiße Bettlaken, die uns die Sicht in den Himmel verdecken. Wir bekommen unsere Betten in einem Keller-ähnlichen Mehrbettzimmer zugeteilt. Der Preis ist eine Frechheit, doch in Baku findet man wahrscheinlich nichts günstigeres. Ein netter, ruhiger Pakistani Anfang vierzig teilt sich das Zimmer mit uns. Die restlichen Betten stehen leer. Im Stockwerk darüber, dem eigentlichen Hostel, sind alle Betten belegt. Unter anderem wohnt dort auch seit einigen Tagen ein stiller, unscheinbarer Franzose. Er ist ebenfalls mit dem Rad unterwegs und möchte mit der Fähre nach Aktau übersetzen. Wir freuen uns schon darauf die kommende Wüstenetappe nicht alleine bewältigen zu müssen, doch erfahren dann, dass Yves noch auf sein Kasachstan-Visum warten muss. Schade, aber vielleicht holt er uns ja irgendwo noch ein…
(Fast beiläufig erwähnt er, dass er eigentlich mit dem Rucksack nach China laufen wollte. Nach nur einem Tag zu Fuß, stellte er jedoch fest, dass der Rucksack zu schwer für ihn ist. Kurzerhand entschloss er sich mit dem Taxi zum nächsten Decathlon zu fahren, um sich dort ein Fahrrad zu kaufen, um nun 7000 Km später in Baku zu stranden. Mit Jeans, Rucksack und Fahrrad. Die Franzosen sind verrückt!)
Tour de Baku
Pünktllich um 19.00 Uhr holt uns Orkhan ab. Mit schnellem Schritt und in Aserbaidschan-typischer Manier absolvieren wir die “Tour de Baku”: Anhalten – Foto – Weiter. In beißender Sonne eilen wir die Promenade entlang. Vorbei an rausgeputzten, dunkelhaarigen Schönheiten auf unglaublich hohen Highheels. Aus Schutz vor der Sonne verhüllte Frauen, welche den Müll aufsammeln und Männern die Literweise Wasser aus einem Tankwagen auf die Grünanlagen des Parks ausleeren, um diesen vor dem Vertrocknen zu bewahren. Bis wir schließlich am Hafen stehen: Lage checken! Doch wie wir bereits in unzähligen Fahrradblogs gelesen haben, existiert kein Fahrplan. Und so bleibt uns nichts Anderes übrig, als täglich der streng dreinschauenden, aber eigentlich recht netten Dame am Schalter einen Besuch abzustatten und geduldig auf die Fähre zu warten. Danach geht es vorbei an einem deutschen Bäcker, der seine Ware täglich frisch aus Frankfurt zum Aufbacken geliefert bekommt! Wir bekommen drei der hier unglaublich teuren Brötchen geschenkt, als unser Inkognito-Besuch auffliegt und wir als Deutsche entlarvt werden!
Unterkunft 2: Couchsurfing
Da wir nicht wissen, wie lange wir noch auf die Fähre warten müssen, entschliessen wir uns umzuziehen. Über Couchsurfing haben wir eine Unterkunft gefunden. In der WG in einem wunderschönen alten Stadtteil Bakus, mit vielen kleinen Gassen, schiefen Balkonen und zerbrökelnden Hauswänden. Die Wohnung hat schon einige Reisende beheimatet, denn unsere Gastgeberin tut dies mit Leib und Seele und reist selbst sehr gerne. Wir kochen, essen, feiern zusammen und quatschen und tratschen in Deutsch und Englisch. Zwischenzeitlich gastieren hier auch zwei Schweizer und zwei Engländerinnen, die dann aber für einen Trekking-Trip in die aserbaidschanischen Berge aufbrechen – getarnt als Ehepaare, falls die Leute nachfragen sollten. Lustig, da sich die vier erst seit ein paar Stunden kennen. Aber so scheinen nicht nur wir gelegentlich dem Eheschwindel zu verfallen… Wir fühlen uns pudelwohl und genießen die Zeit im prunkvollen Baku, auch wenn dessen prächtige Fassade über gewisse “Mängel” hinweg zu täuschen versucht.
DANKE FÜR DIE TOLLE UNTERKUNFT und deine herzliche, offene Art! Viel Spass bei deinem Studium! Wir sehen uns dann in Deutschland :)
Nacht(s)leben
Wenn die Sonne über Baku verschwindet, verschwinden damit noch lange nicht die Menschen. Denn nun fallen die Temperaturen auf angenehme 24°C. Die Promenade füllt sich mit Groß und Klein. Die Restaurants mit Dick und Dünn. Die Pubs mit Voll und Voller! Das erste Mal seitdem wir unterwegs sind, betreten auch wir endlich mal wieder eine Bar mit Live-Musik. Und trotz unserer verdreckten Füsse in Outdoor-Sandalen und braunen Shorts im Partnerlook genießen wir den Abend mit unseren neuen Freunden Vusa und Sascha (welcher ebenfalls zu Gast in der WG ist). Als die türkische Sängerin das Top auszieht und nur noch im Bikini auf der Bühne steht, flüsstert Sascha mir zu, dass es so etwas vor drei Jahren – bei seinem letzten Besuch – noch nicht gegeben hat. Kurz darauf betritt ein aufgebrachter Polizist die Bar, und ich denke: Das wird es wohl auch heute nicht geben. Doch der Polizist scheint nur eine Angelegenheit in privater Sache klären zu wollen. À propos private Sache: Interessant sind auch die Damen zu beobachten, welche schnell als Prostituierte einzuordnen sind. Zielstrebig suchen sie sich betrunkene Herren aus dem tanzenden Volk und verschwinden mit ihnen in einer der nächtlichen Gassen Bakus…