Der Sheriff von Nottingham und seine STASI ähnlichen Machenschaften
Timm: Ein entgegenkommendes Auto hält neben uns. Die beiden Insassen geben sich als Polizisten zu erkennen. Ich grüße freundlich. Es bildet sich eine Schlange von wartenden Fahrzeugen, die uns nervös hupend zum Weiterfahren drängt. Wir befinden uns in Kharagauli, einer kleinen Stadt an einer schottrigen Straße, die sich zusammen mit der Eisenbahnlinie durch ein schmales Tal Richtung Tblisi schlängelt. Der Wagen mit den in Zivil gekleideten Polizisten hat gewendet und folgt uns. Als wir gerade Brot kaufen, trifft eine weitere Polizeistreife ein: Zu kleine Polizeiuniform trifft auf zu großen Bauchumfang. Wir werden von dem dicken Hilfssheriff über Route und Absichten ausgefragt und antworten gehorsam. Wir haben schliesslich Nichts zu verbergen! Während der gesamten Unterhaltung beobachten uns die beiden in zivil gekleideten Polizisten misstrauisch aus ihrem Auto heraus. Ich versuche das Eis zu brechen, indem ich ihnen gelegentlich freundlich lächelnd zunicke. Die Mienen bleiben kühl. Als das “Verhör” beendet ist, geht unser korpulenter Gesprächspartner zum Auto der Miesepeter – augenscheinlich ist einer der Beiden der “Sheriff” – und berichtet. Dann dürfen wir weiter fahren. Nervenaufreibende Prozedur, an die wir uns in Zukunft wohl gewöhnen müssen.
In Kharagauli befindet sich das Büro des Borjomi-Kharagauli Nationalparks. Hier wollen wir unsere “Eintrittskarte” für den Park besorgen. Der junge Mann hinter dem Schreibtisch ist bemüht uns gut zu beraten. Doch entgegen seiner Empfehlung entschliessen wir uns den Park nicht zu Fuß, sondern mit dem Pferd zu durchqueren. Als ich das Büro verlasse ist Lorena umringt von einer Gruppe Tschechen, welche für einige Tage ihr Mannsein feiern und ohne Frauen und ohne Zelt, einzig ausgerüstet mit Schlafsäcken, durch Georgien pedalieren. Unsere Unterhaltung wird unterbrochen. Die Polizei von Kharagauli scheint unter Aufmerksamkeitsdefizit zu leiden. Die erneute Befragung wird hitziger. “Woher kennt ihr euch?” “Reist ihr zusammen?” Ich bleibe ruhig. Einer der Tschechen, welcher der einzig englischsprechende der Gruppe ist lässt, sich von der Verhöhr-ähnlichen Situation verunsichern und verschlimmert die Lage durch nervöse und wiedersprüchliche Antworten. Es dauert eine Weile bis die Verhältnisse geklärt sind und wir fast schon genötigt werden weiter zu fahren.
Unterwegs zum Parkeingang, welcher sich 20-25 Km entfernt nahe dem kleinen Ort Marelisi befindet, finden wir eine nette Wiese und überlegen hier unser Nachtlager aufzuschlagen…
Frauen verboten! Na, da bin ich ja froh, dass ich dabei sein darf. Danke Timm
Lorena: Ich wollte Timm gerade sagen, dass ich mit Schlafplatz einverstanden bin. Gleichzeitig erreicht uns ein dunkler Wagen. Ich kann es kaum glauben, wer mir aus dem Wagenfenster entgegenschaut: Der Fahrer des “Sheriffs”, welcher unglaublich pralle, nach außen gewölbte Schlauchbootähnliche Lippen hat. Wir taufen ihn “Schlauchbootlippen-John”. Unsere Blicke treffen sich und wir schauen uns grimmig und stillschweigend an. Man merkt es gleich, dass wir eine enorme Symphatie füreinander empfinden. Er fährt weiter und mir ist die Lust vergangen hier zu übernachten. Schließlich wurde unser Versteck hiermit enttarnt und ein ruhiger Schlaf somit undenkbar. Ich weiß nicht, welche Absichten die hiesige Polizei hegt, doch ich möchte heute Nacht nicht von den unheimlichen Gehilfen des Sheriffs heimgesucht werden. Wir fahren weiter. Hinter einer Kurve in einem Seitenweg steht erneut der schwarze Wagen. Schlauchbootlippen-John tut so, als würde er schlafen. Der Mann muss sehr müde sein! Eben fuhr er noch putzmunter an uns vorbei und nun befindet er sich schon im Land der Träume. Er folgt uns bis nach Marelisi und wir beschliessen die letzten 4 Kilometer bis zur Schützhütte der Ranger doch noch in Angriff zu nehmen. Vielleicht haben wir dort unsere Ruhe. Wir sehen gerade noch, wie die Leute die wir in Marelisi nach dem Weg dorthin gefragt haben, von “Schlauchbootlippen-John” ins Verhör genommen werden! Meine Güte! Was glauben die denn wer wir sind? Schwerstverbrecher? Terroristen? Gehetzt fahren wir den Waldweg in Richtung Ranger. Doch eine Überraschung hat sich der Tag noch für uns aufgehoben: Ein Fluss stellt sich uns mit tosender Strömung in den Weg! Einen Vorteil hat es jedoch: wenn wir ihn erst überquert haben, wird uns “Schlauchbootlippen-John” mit seinem klapprigen Auto nicht mehr folgen können…
Timm: Sowohl unser Verfolger, als auch die Dämmerung, drängen uns dazu nun eine schnelle Entscheidung zu treffen. Der schmale Holzstamm, welcher normalerweise Fußgängern als Brücke dient, kommt für eine Überquerung mit dem Fahrrad nicht in Frage. Uns bleibt nur die Flussüberquerung. Die ersten Glühwürmchen fangen an zu blinken und schweben mystisch über die urigen Farne. Der Bach rauscht und manchmal haben wir das Gefühl den Motor unseres Verfolgers zu hören. Ich gehe vorerst lieber ohne Fahrrad durch den Bach und schaue wie tief er ist. Lorena entfernt schon mal die Lenkertaschen. Wir wollen nicht riskieren, falls das Fahrrad von den Fluten gepackt wird, dass unsere Elektronik Baden geht. Knie tief. Das müsste passen. Vorsichtig schiebe ich das erste Rad durch den Bach. Große Steine erschweren den Weg. Von der Seite drückt kräftig das Wasser auf die hoffentlich dichten Packtaschen. Zum Glück ist der Grund nicht all zu rutschig und wir können das zweite Fahrrad ebenfalls ohne Probleme auf die andere Seite manövrieren. Die blaue Stunde ist vorbei. Der dunkler werdende Himmel drückt auf unsere Stimmung. Ich versuche mir einzureden, dass alles in Ordnung ist. Das hier ist zwar der Georgische Dschungel, aber wir können uns nicht verlaufen. Der Weg führt in 4 Kilometern schliesslich geradewegs zu den Rangern. Taschenlampen haben wir auch. Und Essen für die nächsten 2 Tage. Ich probiere ruhig zu bleiben. In mir steigt das Gefühl von Abenteuer auf. Das habe ich mir gewünscht! Oder? Ich setze mir die Stirnlampe auf den Kopf. Der Lichtkegel ist ziemlich klein und ich kann nur schwer erkennen, was weiter als 5 Meter entfernt ist. Die Nächte hier im Wald sind pechschwarz. Wir können ohne Licht Nichts mehr erkennen. Der Schlamm “quartscht” durch unsere Sandalen, während wir unsere Fahrräder durch die knöcheltiefen Schlammpfützen schieben. Wir haben mittlerweile aufgegeben in der Dunkelheit trockenen Fusses zu bleiben. Das würde uns zu viel Zeit kosten. Mein von Abenteuerlust geprägtes Grinsen wurde durch Lorenas Bedenken – “Und was wenn jetzt ein Wildschwein oder ein Bär vor uns steht?” – wie weggeblasen. Lorena läuft vorweg. Sie wird immer schneller. Wir sprechen kein Wort. Die Nacht ist gespenstisch. Das sind die längsten 4 Kilometer meines Lebens. Teilweise bleiben wir im Schlamm stecken. Lorenas panischer Zustand wird von durch Erschöpfung hervorgerufener Lethargie abgelöst. Ich helfe ihr das Fahrrad aus dem Schlamm zu schieben. Mein Herz schlägt schneller. Ich schaue den Weg entlang und bleibe stehen. Ich sehe 3 Glühwürmchen. An sich nicht Ungewöhnlich. Doch eines davon blinkt nicht wie sonst. Was zum Teufel? Langsam gibt die Dunkelheit eine Silhouette Preis. Ein Pferd. Mitten im Wald. Meine Stirnlampe hat sich in seinen Augen reflektiert. Die Atmoshphäre ist unbeschreiblich, ich komme mir vor wie in einem Traum. Alles ist so sürreal. Das Pferd kommt näher. Jetzt kann ich auch zwei Männer auf dem Pferd erkennen. Und einen Hund. Ich schalte meine Taschenlampe aus um die Männer nicht zu blenden. Einer der Beiden ist betrunken und will meine Hand nicht mehr loslassen, die ich ihm zur Begrüßung hochgereicht habe. Aber das ist mir egal. Ich bin froh, dass sie da sind. Ich bin wieder etwas ruhiger. Wir laufen weiter. Hier und da höre ich das Knacksen von kleinen Ästen und das Rascheln von kleinen Tieren, die sich im Unterholz verstecken, als wir den Weg fast lautlos entlangschieben. *Bing*Bing*Bing* Lorena klingelt. Eine gute Idee. Zusammen klingeln wir verloren in dem finsteren Wald. Ich lächle. Das macht Mut. Durchhalten!
Die VAUDE Taschen beweisen, dass sie absolut wasserdicht sind!
Hetzjagd bei Nacht
Lorena: Endlich taucht mitten im Wald die Hütte der Ranger auf! Doch es wäre ja gelacht, wenn wir da jetzt einfach so unser Zelt aufschlagen könnten: Zwischen uns und dem so sehr ersehnten Schlafplatz liegt erneut der tosende Fluss. Dieser rast mit hoher Geschwindigkeit und nicht unbeachtlicher Tiefe an uns vorbei in Richtung Tal. Unmöglich ihn in der Finsternis zu überqueren. Zwei schmale Baumstämme dienen als Brücke. Doch es badarf schon artistischer Fähigkeiten mit einem schwer beladenen Fahrrad darüber zu balancieren. Das Haus der Ranger liegt in greifbarer Nähe in der Dunkelheit und ist doch unerreichbar.
Timm: Schlimmer kann es aber schon lange nicht mehr werden. Wir nehmen es hin. Auf der anderen Seite sehen wir die Hütte der Ranger auf einer kleinen Lichtung. Es brennt kein Licht. Verdammt sie schlafen schon! Ich krempel mir die Hose hoch und wate durch den Bach. Das Wasser tränkt meine Hose. Der Bach ist zu tief. Was jetzt? So kurz vor dem Ziel. Ich bin unfassbar enttäuscht. Lorena sagt nichts mehr. Der Bach rauscht. “Hooooo” ruft es von der anderen Seite des Flusses. “Hooooo.”
Lorena: Hilflos stehen wir da. Dunkle Schatten bewegen sich auf uns zu und formen sich langsam zu stämmigen menschlichen Silhouetten. Über die Brücke schreiten trittsicher drei kräftige Männer mit langen Holzstäben in der Hand. Figuren, wie aus einem Märchen der Gebrüder Grimm. Doch mit ihnen macht sich auch ein schwach wahrnehmbarer Geruch von Alkohol in der nächtlichen Luft breit. Sie beurteilen die Situation als genauso aussichtslos, wie wir es bereits getan haben. “Zurück”, meint einer der Männer. Dieses Wort schafft es meine bereits überspannten Nervenstränge endgültig zum Reißen zu bringen. Ich setze mich völlig erschöpft auf einen großen Stein und starre auf das Wasser…
Timm: Kräftige Männer mit tiefen Stimmen. Vollbärten und einer leichten Alkoholfahne. Ich komme mir vor wie in Robin Hood. Vor mir die Waldbewohner und Mönche. Hinter mir der Sheriff von Nottingham. Aber welche Rolle spielen Lorena und ich? Lorena sitzt immer noch auf dem Stein und rührt sich nicht. Ich versuche sie zu trösten und merke, dass sie den Tränen nahe ist. Von der anderen Seite des Flusses leuchten zwei grelle Scheinwerfer auf. Ein großer Mitsubishi Pickup rollt langsam auf den Bach zu. Warum sind die denn da nicht früher drauf gekommen? Wir laden die Räder samt Gepäck auf die Ladefläche. Zusammen mit einem der Ranger versuchen wir die Räder bei der Bachdurchquerung so fest wie möglich zu halten. Lorena nimmt als Beifahrerin im Cockpit Platz. Der Wagen taucht langsam in den Bach ein. Ich hatte die Tiefe unterschätzt. Die Ladefläche füllt sich mit Wasser. Die Laptoptasche, welche Lorena mir zwischen die Beine gestellt hat, rutscht gefährlich nahe in Richtung Ladeklappe, welche wir wegen der Räder nicht schliessen konnten. Doch kurz darauf befinden wir uns schon auf der anderen Seite. Geschafft! Die Ranger verschwinden wortlos in ihrer Hütte. Nach diesem Tag bin ich so aufgewühlt, dass ich glaube niemals einschlafen zu können. Doch während ich in unserem zügig aufgebauten Zelt liege und so darüber nachdenke, wie absolut KRANK dieser Tag heute war, schlafe ich aus Erschöpfung schneller ein als gedacht.
Der Weg zum Ranger Shelter ist eine wahre Herausforderung: für unser Material und unsere Nerven!
Im Stockdunkeln geht es mit dem Geländewagen über den Fluss...
Aufsteigen
Ich will nicht aufstehen! Müde schaffe ich es gerade so meine Augen zu kleinen Schlitzen zu öffnen. Mühevoll krieche ich aus dem Zelt. Die Ranger stehen auf der Veranda, sind immer noch groß und stattlich, haben jedoch im Tageslicht ihre mystische Ausstrahlung verloren. Geblieben sind alte Männer in dreckiger Kleidung mit versoffenen Gesichtern. Unsere Pferde stehen gesattelt um Punkt acht Uhr vor unserem Zelt. Verschlafen stopfen wir schnell das Nötigste in zwei große Packsäcke. Ein alter Mann mit Hut drückt uns die Zügel in die Hand. Timm bekommt den Hengst und beide Packtaschen. Wir versuchen noch die Namen unserer vierbeinigen Begleiter in Erfahrung zu bringen, doch da unsere Russisch Kenntnisse nicht ausreichen, taufen wir die neuen Weggefährten spontan und besonders einfallsreich auf die Namen Paul und Paulchen. Da geht es auch schon los. Haben wir in der Eile alles eingepackt? Ein schwarzer Hund läuft neben uns her. Er scheint uns wohl als persönlicher Beschützer auf unserem Weg in die bewaldeten Berge zu begleiten.
Timms Pferd: Wilder Hengst oder treuer Weggefährte?
Abenteuer
Lorena: So brechen wir auf in ein ganz spezielles Abenteuer. Die erste Herausforderung stellt sich uns schon nach wenigen Metern. Wieder einmal kreuzt der uns wohlbekannte Fluss unseren Weg. Unter den kritischen Blicken der Ranger treibe ich mein Pferd auf die andere Seite. Doch nur widerwillig lässt es sich dazu bewegen durch das steinige Flussbett zu wahten. Timms Pferd tut ihm diesen Gefallen nicht. Bockig bleibt es vor dem Wasser stehen und nutzt seine reiterliche Unkenntnis schahmlos aus. Doch Timm scheint wohl etwas Cowboy im Blut zu haben und lernt schnell sich gegen seinen sturen Partner durchzusetzen.
Da führt kein Weg dran vorbei - sondern nur geradewegs hindurch!
Im georgischen Dschungel suchen wir nach dem Weg in Richtung Gipfel.
Immer wieder stellt sich uns der Fluss in den Weg
Riesige Bremsen attakieren uns und unsere Pferde
Was wohl hinter der nächsten Kurve auf uns wartet?
Der Wald wird lichter...
...und die Aussicht fantastisch!
Gipfelsturm
Über Stunden klettern wir immer höher hinauf. Durchkreuzen mehrfach das Wasser, vorbei an fazinierender Landschaft, steinigen Böden, Farn und Lianen, über eine Alm. Der Weg wird nun immer schmaler und wir kämpfen uns durch einen dichten Dschungel aus Blattwerk. Plötzlich schlägt unser Hund bellend Alarm. Etwas bewegt sich zwischen den Farnen. Wir können gerade noch das Hinterteil eines flüchtenden Tieres erkennen und sind uns sicher es war ein Bär! Braver Hund! Der höchste Punkt des Berges scheint schon fast erreicht, da fängt es drohend an über uns zu Donnern. Der Himmel zieht sich zu. Nicht nur unsere Pferde sind müde und froh, als wir uns entscheiden umzukehren und die Nacht bei einer tiefergelegenen Schutzhütte zu verbringen.
Schon so hoch und dennoch nicht am höchsten Punkt
Nicht nur unsere Pferd sind müde...
Wir entscheiden uns zur Schutzhütte zurück zu reiten...
Schutzhütte
Als wir an der hölzernen Hütte ankommen, stehen dort eine Menge Pferde. Zwei Männer springen uns freudig entgegen – als hätten sie uns schon erwartet – packen uns bestimmend am Arm und ziehen uns hinein in das dunkle Häußchen. Ein Verhör? Doch auf dem Tisch ist Wurst, Käse und Brot ausgebreitet und man bittet uns zuzugreifen. Natürlich darf der Alkohol nicht fehlen, welcher aufgrund unserer ausgehungerten Mägen, seine Wirkung schnell entfaltet. Die Männer erklären uns mit Hand und Fuss, Brocken aus Englisch und Russisch, dass sie von der Polizei und vom Militär seien. Auch ein Ranger ist dabei. Und was machen die hier mitten im Wald? Ein kleiner, misstrauisch schauender Junge entspannt die Situation ein wenig. Die anfänglich gute Stimmung schlägt schnell um, als wir merken, dass sich das Gespräch zu einer Verhör-ähnlichen Situation wandelt. Immer wieder fragt der Polizist, der auch als Jürgen-Vogel-Double arbeiten könnte, “unauffällig” nach unserem Namen und Wohnort in Deutschland. Angeblich weil er den Ort “Kelkheim” unbedingt und nur spaßeshalber mal in Google suchen möchte. Wann wir denn wieder nach Hause fliegen? “Jahresende – Weihnachten” Der Polizist formt seine Hände zu Pistolen und schiesst in die Luft. Timm schaut mich entsetzt an: “Der will unser Flugzeug abschiessen!!!” Ich lache laut, denn ich glaube er meinte lediglich “Silvester”, was wir in unserem Verfolgungswahn wahrscheinlich missverstanden haben. Oder? Aber als er mich dann ganz lustig, aber immer penetranter werdend nach meiner genauen Adresse und Hausnummer fragt, fauche ich ihm nur noch ein knappes “Privat” entgegen! Er scheint verstanden zu haben. Sauer dreht er sich um und geht zu seinem Pferd. Die Gruppe aus Männern steht noch eine Weile tuschelnd und uns immer wieder Blicke zuwerfend auf der Wiese, bevor sie endlich den zweistündigen Rückzug in Richtung Marelisi antreten. Einzig ein Ranger bleibt…
Verhör und Verköstigung in der hölzernen Schutzhütte...
Umzingelt von der Polizei!
Posen wie die Großen!
Zwei Mann und eine Flasche Wodka
Timm: Der Ranger, welcher die ganze Situation stillschweigend beobachtet hat, scheint etwas Mitleid mit uns zu haben und zieht nach dem die Anderen verschwunden sind, eine kleine Flasche Tschatscha (georgischer Tresterbrand) aus seiner Tasche. Zusammen stoßen wir mehrfach auf die deutsch-georgische Freundschaft an. Außerdem auf seine beiden verstorbenen Rangerkollegen, wovon einer, so glauben wir zu verstehen, auf Grund eines Herzinfaktes gestorben ist und der andere erschossen wurde. Oje, erschossen?
Da wir schon etwas angeschwippst sind, und wir auf Grund der merkwürdigen Situation mit der Polizei einen klaren Kopf behalten wollen (soweit das noch möglich ist), probieren wir uns in allerlei Techniken das berauschende Getränk unauffällig zu entsorgen. Auch das Pökelfleisch, welches er uns ständig aufdrängt und nicht besonders appetitlich aussieht, lassen wir hinter unserem Rücken in das hungrige Maul unseres Hundes verschwinden, welcher sich nach dem anstrengenden Tag besonders darüber freut.
Lorena: Endlich ist die Flasche leer und der Ranger entscheidet sich zu gehen. Doch an der Stelle, wo eben noch seine drei Pferde standen, wehen nun lediglich ein paar Grashalme im Wind. Großartig! Wenn jetzt drei reiterlose Pferde ohne Ranger im Tal ankommen, schicken sie wahrscheinlich direkt ein Sondereinsatzkommando! Das darf nicht passieren! Mit einigen Gläsern Wodka intus renne ich los. Beflügelt springe ich über Wasserpfützen, Steine und alles andere, was sich mir in den Weg stellt. Nach einem 1-Kilometer-Hindernislauf entdecke ich die Pferde kurz vor der Flussüberquerung. Zu spät. Ich kann gerade noch ein Hinterteil tuschieren, da marschieren sie schon vergnügt durch das tiefe Wasser. Die Brücke! Ich sprinte über den Holzbalken und während ich das tue, wird mir bewusst, dass mich im nüchternen Zustand wahrscheinlich keine zehn Pferde dazu gebracht hätten hier herüber zu gehen. Doch da stehe ich auch schon am anderen Ufer. Ich nutze alle meine durch Wodka hervorgerufenen Superkräfte und setze zum Endspurt an. Mit soviel Energie, dass ich an den Pferden vorbeischieße und mich ihnen wie Batman in den Weg stelle. Hah! Ihr Bösewichter. Das Spiel ist aus! Ich schwinge mich in den Sattel und jage im Galopp zurück zur Schutzhütte. Der Ranger schaut mich an. Anstatt eines lobenden Dankeschön für meine heldenhafte Leistung, hält er fragend drei Finger in die Luft. “Wo ist das dritte Pferd?” Keine Ahnung, denke ich. Sei froh, dass ich zwei gefangen hab, sonst hättest du nach Hause laufen können, du Suffkopf.
Auf Georgien! Wann ist denn die Flasche endlich leer!!!
Ruhe. Angetrunken sitzen wir auf der Terasse der Holzhütte. Unser Hund liegt neben uns und genießt die für ihn scheinbar seltenen Streicheleinheiten. Doch plötzlich schießt er hoch und fängt an zu knurren. Hufgetrappel. Sind die Polizisten zurückgekehrt? Etwas bewegt sich im Gebüsch. Auch die Pferde schauen auf. Das Tier ist riesig, pechschwarz und vierbeinig – aber kein Pferd: Eine Herde Wasserbüffel hat sich heimlich genähert und bewegt sich in Richtung unseres Zeltes. Der Hund schaut uns fragend an. “Ja, du darfst!” Kaum haben wir die Worte ausgesprochen, schießt er los und nimmt den Kampf gegen die schwarzen Kolosse auf. Erschrocken ergreifen sie die Flucht.
Ob da wohl was zu essen drin ist? (An dieser Stelle entschuldigen wir uns dafür, dass die Bilder etwas unscharf und verwackelt sind. Doch aufgrund des Wodka war eine bessere Qualität leider nicht mehr möglich!
Attacke! Unser tapferer Hund verteidigt unser Zelt mit vollem Körpereinsatz...
Rückkehr
Timm: Ich genieße es im Sattel zu sitzen. Endlich kann ich Lorena mit ihrer Passion für Pferde annähernd verstehen. Und auch wenn mein Bock mich häufig wider Willen durch das Gestrüpp zieht, meine Arme wegen der vielen Äste schon so aussehen, als würde ich mich ritzen und mein Po so wund ist, dass er schon blutet, setze ich mich diesen Morgen wider Erwarten freudestrahlend in den Sattel. Der Weg führt uns heute durch eine kleine Klamm. Die steilen, felsigen Wände lassen oft kaum Platz für Fluss und Weg, so dass wir meistens gezwungen sind durchs Wasser zu waten. Als der Bach zu tief wird, presst sich ein schulterbreiter Pfad aus dem Wasser durch zwei nackte, kantige Felswände die Böchung empör. Mein Pferd bleibt wieder einmal stehen. Auch ich bin unsicher, ob ich mich mit den beiden Taschen durch die Enge zwängen kann…
Lorena: Timms Pferd steht einmal wieder und weigert sich weiter zu gehen. Ich rufe ihm zu, er soll ihm endlich mal zeigen wer der Boss ist! Dass vor den Beiden die schmale Felsverengung liegt, kann ich aus meiner Position nicht sehen. Timm treibt sein Pferd an. Es bewegt sich. Geht doch! Doch die beiden seitlich befestigten Taschen bleiben hängen und ziehen es zurück. Es verliert den Halt und sein Hinterteil verschwindet im Wasser. Verzweifelt, jedoch nicht panisch versucht es sich aus seiner misslichen Lage zu befreien. Timm tut es ihm gleich. Ich sitze hilflos auf meinem Pferd und hoffe dass die beiden sich nicht überschlagen! Ein Sturz auf die kantigen Steine wäre fatal! Mitten in der Wildnis! Kein Handyempfang. *Kracks* die beiden Taschen fallen mit einem Schwung ins Wasser, Timm springt vom Pferd auf einen kleinen Felsvorsprung und das Pferd rettet sich Reiter- und Gepäcklos ans trockene Ufer. Mir klopft das Herz. Alle scheinen wohl auf, wenn auch etwas blass im Gesicht. Auch wenn Timm nicht viel Ahnung vom Reiten hat, in dieser Situation hat er alles richtig gemacht: Pferd und Reiter sind zum Glück ruhig geblieben. Wir wählen einen anderen Weg zurück und machen uns mit weichen Knien langsam in Richtung unserer Fahrräder auf, die uns schon bald wieder statt der Pferde durch Georgien “tragen werden.”
Bald müssen wir uns von unseren neuen Freunden verabschieden. Nicht die Köpfe hängen lassen!
Bei Tageslicht wagen wir den Versuch, die Räder über die schmale Holzbrücke zu schieben!
Unser dunkler Schatten
Wir übernachten mit dem Zelt in Marelisi, dem Ort, wo das Abenteuer anfing. Am nächsten Morgen verabschieden wir uns vom Borjomi-Kharagauli Nationalpark. Lassen mit einem traurigen Gefühl unsere vierbeinigen Freunde zurück. Und sind gleichzeitig froh, Sherwood-Forest zu verlassen und nun hoffentlich wieder unkontrolliert Reisen zu dürfen. Doch vor dem Zaun steht ein Wagen. Ein junger Mann schaut aus dem Autofenster in unsere Richtung. Ich sitze auf der Veranda und starre in genauso erbarmungslos an. Ich kann es nicht fassen, dass wir nun seit beinahe drei Tagen observiert werden. Als wir losfahren werfe ich ihm im vorbeirollen nur einen bösen Blick zu. Der Wagen rollt hinter uns her. Sehen können wir ihn nicht, aber das knatternde Geräusch eines nicht mehr ganz einwandfrei funktionierenden Motors ist unverkennbar. Wir warten hinter einer Kurve. Mir platzt der Kragen. Ich stelle mich mitten auf die Strasse und halte das Auto an: “WHAT IS YOUR PROBLEM?” schnaube ich wütend. Der junge Beamte schaut mich nur baff an und stammelt: “I´m Policeman!” Ach, das habe ich mir auch schon gedacht. Ich probiere es noch einmal mit: “We Tourist! Problem?” Eingeschüchtert sagt er nur: “No. Security!” Da eine Ergebniss-bringende Unterhaltung aussichtslos scheint, drehe ich um. Ich fühle mich definitiv nicht beschützt, sondern observiert, nahezu bedroht und in meiner Freiheit eingeschränkt. Der Wagen folgt uns noch den ganzen Tag – über 8 Stunden! Liebes Georgien, was hatte es damit auf sich?