Von Zuhause
So hatte ich mir die Rückkehr nach “Hause” nicht vorgestellt. Nachdem ich von Gestern auf Heute aus meinem Nomadenleben gerissen wurde, stehe ich nun in mir bekannter Umgebung am Gepäckband des Frankfurter Flughafens. Überall Menschen deren Sprache, Mimik, Gestik und Kultur mir vertraut vorkommt. Ich habe das Gefühl die Gedanken der Leute um mich herum lesen zu können. Bin ich auf der Reise zu einem allwissenden Weisen mutiert? Oder ist es einfach nur der Kontrast zwischen “ich versteh kein Wort” und “ich lebe seit 26 Jahren in dieser Gesellschaft”, der mir das Gefühl gibt den Durchblick zu haben?
Ein mal tief durchatmen und ich trete durch den Zoll ins Freie. Meine Familie wartet schon: Schön, dass ihr da seid! Die nächsten 10 Tage sind großartig und emotional und ich bereue keine Minute diese Entscheidung getroffen zu haben. Leider geht es meinem Großvater nur langsam besser. Aber es tut gut zu sehen, dass er seinen Humor nach wie vor nicht verloren hat! HOL DI FUCHTIG!!!
Neben vielen Besuchen und Unternehmungen mit meiner Familie beschäftigt mich vorallem der Gedanke, dass ich Lorena zurück in China gelassen habe. Sie sitzt bei Schaschlik und Samsa und sollte lieber nicht erfahren, mit welchen Leckereien ich in Völlerei-Deutschland voll gestopft werde. Leider gestaltet sich die Aufgabe zurück nach China zu kommen schwieriger als zunächst angenommen. Mit meiner Ausreise aus China ist auch mein Visum ungültig geworden und ich sollte schleunigst ein Neues beantragen. Direkt am Montag fahre ich nach Frankfurt zur Botschaft. Ich bin sicher, dass die Leute dort Verständnis für meine Situation haben und mir das Visum ohne Probleme ausstellen. Als ich dort ankomme wird mir schlagartig bewusst, dass wir hier nicht in Bishkek sind, sondern ich zusammen mit 200 anderen Wartenden den Antrag durch einen kleinen Schlitz in einer Panzerglasscheibe schieben muss, hinter der zwei gefühllose Behördler ihre Stempel schwingen (oder eben nicht). “Das wird so Nichts!” Am nächsten Tag versuche ich erneut mein Glück. Diesmal bin ich vorbereitet. Mit einer Beschreibung meiner Situation, warum ich meine Fahrradreise in Kashgar unterbrechen musste, und dass ich Freundin und Gepäck dort zurückgelassen habe… Am Schalter schiebe ich den Antrag samt Brief durch den “Schlitz”. Der Beamte überfliegt diesen kurz und meint dann: “Sie brauchen einen Rückflug von China nach Deutschland.” …Tja, den hab ich wohl nicht! Wenn ich aber erst morgen den Antrag einreiche, wird das mit dem Bearbeitungszeitraum fürs Visum und meinem Rückflug-Datum nach Kashgar knapp und Lorena muss bis ans Ende ihrer Tage in Kashgar auf mich warten. Das darf nicht sein! Und so stehe ich 10 Minuten später im nächsten Reisebüro und buche einen überteuerten Flug von China nach Deutschland. Zurück in der Botschaft reiche ich erneut meine Unterlagen inkl. Flugticket durch den Schlitz.
Diesmal werde ich von einer Beamtin bedient. Sie ignoriert standhaft den beigelegten Brief, trotz mehrerer Versuche sie darauf aufmerksam zu machen. Schließlich meint sie:”Sie brauchen eine Einladung!” Ich (fassungslos): “WAS? VON WEM? WIESO?” Sie (genervt von diesen Problemkindern, von denen sie an diesem Tag wahrscheinlich schon 100 abgewimmelt hat): “Die Provinz Xinjiang ist autonom!” Ich: “Und wo bekomme ich diese Einladung her?” “BING” tönt es über mir aus dem Lautsprecher und die nächste Nummer auf der Anzeigetafel erscheint. Das soll wohl heißen, dass ich – also die Nummer 0304 – sich verpissen soll! Meine Knie sind weich. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Mein Kopf wird rot. Wie soll ich das Lorena erklären? Ist das jetzt das Ende der Reise? VERDAMMTE SCHEISSE!!!!! Ich schaue zu dem Beamten in der Kabine zu meiner Rechten, bei welchem ich vorhin nur einen Rückflug brauchte, den ich jetzt scheinbar umsonst gebucht habe. Sollte ich es da nochmal probieren? Noch mal eine Nummer ziehen und 2 Stunden warten, bis die Idioten hinter dem Panzerglas Mittagspause machen? Nix da! Ich drängle mich vor und gebe meinen Antrag ab. Der Stempel schwingt. Mein Atem stockt! “Kommen sie in 3 Tagen wieder!” YES!!!!!
CHINA, ICH KOMME!!!
Ziele
240 Tage Reisen. Immer mit einem Ziel vor Augen: China! Ein Vorsatz, der uns motiviert und angetrieben hat. Auch dann, wenn Muskeln schmerzten, sich der Magen gekrümmt hat, sich Strassen in die Höhe gewunden haben, Wind uns heiss und kalt entgegen geblasen hat oder wir Sehnsucht nach der Heimat hatten. Und obwohl wir mit jedem Meter, dem wir China näher rückten, uns weiter von “zu Hause” entfernten, kommen wir diesem doch irgendwie immer näher. 10 Monate Reisen kamen uns zu Anfang wie eine Ewigkeit vor. Und auch der ewig weite Weg nach China lies die Frage offen, ob wir wirklich am “Ziel” ankommen. Und tatsächlich – jetzt sind wir hier! Und mit einem Schlag wird uns bewusst, dass somit auch das Ende der Reise immer näher rückt.
Der Plan
Zu Beginn unserer Reise hatten wir einen Plan, wann wir wo sein möchten. Haben uns ausgerechnet, wie viele Kilometer wir pro Tag fahren können. Doch wir hatten auch noch nie eine Radreise unternommen und mussten schnell feststellen, dass uns unsere eigene Vorgabe viel zu sehr unter Druck setzte. Wir konnten nicht wissen, wie unser Körper reagiert, wen wir unterwegs treffen, wo wir ungeplanter Weise vielleicht mal einen Umweg oder einen längeren Stopp einlegen. Aber der Weg ist das Ziel. So sind wir nun mit ein paar Monaten Verspätung – aber jeder Menge toller Erfahrungen – in China eingetroffen.
Peking war unser geplantes Ziel. Doch ist es das immer noch!? Bis dorthin liegen noch etwa 5000 km zwischen uns und der Hauptstadt. Uns bleiben dafür rund 50 Tage. Macht pro Tag 100 Kilometer – ohne Pausentage. Wollen wir wirklich bis zum Ende der Reise unter Zeit-Druck weiterradeln, um dann in letzter Minute gestresst in den Flieger zu springen? Und hat das riesige China nicht noch mehr zu bieten, als den im Winter eisigen Norden? Wie soll das “Ende” unserer Reise aussehen?
Adventskalender
Da sich die Reise nun dem Ende neigt und wir noch so viel Zeit wie möglich mit Fahrradfahren und dem Entdecken von China verbringen wollen, werden wir die “Berichterstattung” etwas reduzieren. (Das wird natürlich nach der Reise von zu Hause aus nachgeholt! ;) ) Als kleiner Vorspann, gibt es ab dem 01. Dezember allerdings einen Adventskalender auf der Webseite, wo ihr jeden Tag erfahrt, wohin es uns in China verschlagen hat.