Kapitel 1: Vorbereitungen
KELKHEIM

Unsere etwas trockenen aber leckeren WE ARE Plätzchen

Dieses Silvester ist anders

Diesmal ist es nicht einfach nur der Jahreswechsel. Für uns ist es irgendwie anders. Ein neuer Lebensabschnitt, von dem wir noch nicht genau wissen, was er uns bringt. Ich schaue auf das Feuerwerk und mit einem Mal wird mir bewusst, dass es tatsächlich Realität ist: In fünf Wochen werden wir aufbrechen. Mit dem Fahrrad Richtung China.


Wenn ich daran denke, wächst das flaue Gefühl in meinem Magen. Die lange Phase der Planung neigt sich jetzt dem Ende zu. Dass wir tatsächlich losfahren, wird nun mehr und mehr Realität. Ein Jahr lang arbeiten wir jetzt schon an unserem Projekt „WE ARE traveling“ – Mit dem Fahrrad bis nach China. Oft erscheint uns alles ganz einfach und machbar, manchmal aber auch wieder unerreichbar. An manchen Tagen läuft alles nach Plan, Hoffnungen werden erfüllt, man findet einen tollen Sponsor, der unser Vorhaben unterstützt. An anderen Tagen bekommt man aufgezeigt, welche Probleme auftreten können und dass man auch finanziell einiges leisten muss, um den Traum wahr werden zu lassen. Zwischendurch auch immer wieder die eigenen Zweifel: Eigentlich ist mein alltägliches Leben doch ganz schön. Warum soll ich das Alles abbrechen? Meine Familie, meine Freunde für ein Jahr verlassen? Alles in Kisten packen, auf den Komfort des Lebens hier verzichten und nur mit dem Nötigsten auskommen? Sich dem Unerwarteten aussetzen. Und wofür?

Vielleicht ist es die Angst zu schnell alt zu werden. Das Leben rast nur so an einem vorbei und eh man sich versieht, ist schon wieder ein Jahr vergangen. Und was hat man gemacht? Viel zu viel Zeit verbringt man doch mit alltäglichen Dingen und routinierten Abläufen. Man stumpft ab und verliert oft die Sicht für das Wesentliche. Vergisst das Leben zu schätzen und zu genießen. Die Reise gibt uns die Zeit und die Möglichkeit genau das zu tun: Neues erleben, Menschen kennenlernen und Orte entdecken, die man trotz des medialen Überfluss vorher noch nicht gesehen hat.


Die Uhr tickt. Die Nervosität steigt. Haben wir an alles gedacht? In wenigen Tagen werden wir aufbrechen und immer noch stehen etliche Punkte auf unserer To-Do-Liste. In unserem Zimmer stapeln sich verschiedenste Kisten: Outdoor-Equipment, Fahrrad-Zubehör, Klamotten… Wie soll das bloß alles in unsere Packtaschen passen? Und wenn etwas schief geht? Was ist, wenn wir unsere Reise abbrechen? Abbrechen müssen?


Selbst, wenn wir nicht ankommen. Wenn unser Vorhaben scheitert, haben wir doch Vielen Etwas voraus. Wir hatten den Mut, unseren Traum in die Tat umzusetzen. Wir sind losgefahren.


Sponsorensuche auf der Eurobike 2011

Auf Sponsorensuche in Friedrichshafen

Wir haben gesagt, wir machen diese Reise nur für uns. Ohne Trubel und ohne Medien. Und vor allem ohne Druck. Einfach losfahren. Vielleicht sogar Niemandem davon erzählen, außer der Familie. Wenn wir merken, wir schaffen es nicht oder es entspricht nicht unseren Vorstellungen, können wir einfach umdrehen als wäre nie etwas gewesen.


Jedoch mussten wir recht schnell feststellen, dass ungeahnt viele Kosten entstehen. Obwohl man bei einer Fahrradreise auf den ersten Blick mit minimalem Gepäck reist, so muss das, was man dabei hat auch zu hundert Prozent seinen Zweck erfüllen. Nach langer Überlegung kamen wir zu dem Punkt, dass wir ohne Unterstützung dieses Projekt nicht stämmen können. Und so beschlossen wir, unsere Erfahrung und unsere Leidenschaft für die Fotografie und den Film zu nutzen, um ein Filmprojekt auf die Beine zu stellen, welches die Aufmerksamkeit für unsere Reise und Fahrradreisen insgesamt verstärkt.
Fotografiert und gefilmt hätten wir sowieso. Schließlich bietet einem die Reise ungeahnt viele, einmalige und beeindruckende Situationen, die man als Fotograf festhalten möchte. Und ein Jahr ist schließlich eine lange Zeit. Warum sollten wir diese nicht so nutzen, dass sie uns beruflich weiter bringt? Schließlich werde ich bald 27, würde gerne mit Anfang dreißig Kinder bekommen und vorher eine berufliche und finanzielle Grundlage schaffen. Ein Jahr lang einfach so durch die Welt zu fahren ist da eigentlich nicht drin.


Der Plan: Vielleicht finden wir einen Sponsor, der unsere Idee gut findet und uns bei diesem Projekt unterstützt. Doch wie stellt man das jetzt genau an? Nach dem Lesen einiger Artikel im Internet sinkt unsere anfängliche Motivation schnell wieder. Sponsoren für eine Fahrradreise zu finden, sei nahezu unmöglich. Da müsse man schon etwas ganz Besonderes machen und ein paar Jahre unterwegs sein, damit sich das für den Sponsor auch lohnt. Aber wir finden unsere Idee gut: Einen Dokumentar-Film über Fahrradfernreisen. So etwas gibt es in Deutschland bisher noch nicht. In Friedrichshafen am Bodensee wird in einigen Tagen eine der weltgrößten Messen rund um das Thema Fahrrad stattfinden: die Eurobike. Und was bietet sich besser an, als eine Fahrradmesse, um mit den verschiedensten Unternehmen ins Gespräch zu kommen und sich rund um das Thema Fahrrad zu informieren? In einer Nacht-und-Nebel-Aktion drucken wir Entwürfe für unsere Internetseite, formulieren unser Konzept und backen Kekse als Anhängsel für unsere Visitenkarten. Denn diese sollen nicht – sobald wir uns umdrehen – für immer in irgendeiner Hosentasche verschwinden.


Also machen wir uns auf den Weg zum Bodensee. Die letzte Reise mit unserem VW-Bus. Als wir auf dem Messegelände stehen sind wir dann doch ein wenig nervös, da wir nicht wissen, wie die Leute auf uns und unsere Idee reagieren. Wir schleichen um einige Messestände, sammeln Mut und kreieren einen Plan. Wir reden uns ein: „Wenn es nicht klappt, geht die Welt nicht unter.” Aber sicher sind wir uns da nicht. In diesem Moment werden wir von einem netten jungen Herren angesprochen: „Hallo, kann ich euch weiter helfen?“ Wir bemerken, dass wir wohl die ganze Zeit vor dem Produkt standen und es angestarrt haben. „Äh…naja also eigentlich sind wir hier, weil..“ und erzählen ihm die Geschichte. Er ist sichtlich interessiert und wir tauschen unsere Kontakte aus. Vor Freude und lauter Aufregung haben wir beide ganz rote Wangen und sind überglücklich: es funktioniert!


6 Uhr: Auf dem Wallauer Flohmarkt erhoffen wir unsere Reisekasse aufzubessern. (Mit 300€ gehen wir nach Hause)

Das große Packen

Man stellt schnell fest wie verstrickt man in sein alltägliches Leben ist. Beim Räumen der Wohnung fallen uns vergessene Dinge in die Hände, die uns das packen der Kisten erschweren. Gar nicht so einfach sein ganzes Leben für ein Jahr in Kartons zu verstauen. Meine ganzen schönen Schuhe! Und doch fühlt man sich danach erleichtert. Für die nächsten Wochen, die wir bei unseren Eltern verbringen, haben wir nur das Nötigste behalten. Schnell stellen wir fest, dass wir eigentlich auch Nichts wirklich vermissen. Für mich als Frau ist es viel entspannter nicht vor einem überfüllten Kleiderschrank stehen zu müssen, um stundenlang zu überlegen welche Kleider-Kombination ich wähle. Naja, Timm konnte das sowieso noch nie wirklich nachvollziehen. Man befreit sich von so viel Ballast: Einem das Postfach verstopfende Newsletter werden gekündigt. Man stellt fest, wie viel der Mobilfunkanbieter jahrelang kassiert hat, obwohl es viel günstiger geht. Alles loswerden, was man nicht mehr braucht: das ausgeblichene T-shirt, welches man doch irgendwann noch mal anziehen wollte! Bücher und Dekoration, die letztendlich nur als Staubfänger im Schrank stehen. So haben wir auch unsere ersten Erfahrungen auf dem Flohmarkt gesammelt. An einem sehr früh beginnenden Tag haben wir versucht unsere Reisekasse aufzubessern und waren erstaunt, was man noch so alles zu Geld machen kann. Die schwerste Trennung war die von unserem Auto. Ein Jahr lang hatten wir nach einem alten VW-Bus gesucht, welcher uns ursprünglich einmal nach Asien begleiten sollte. VW-Bus Adé!


Weihnachtsgrüße für unsere Sponsoren