Studentenleben
Das mit dem Studentenleben ist jetzt zwar schon eine Weile her, dennoch haben wir noch Kontakt zu einigen Professoren. Die Partneruniversität unserer ehemaligen Hochschule in Wiesbaden befindet sich in Eskisehir. So liegt es nicht allzu fern, dass wir beschließen einen kleinen “Umweg” einzulegen. Erst letztes Jahr war ich dort zu Besuch für ein Projekt der beiden Unis. Dr. Levend Kilic, mein türkischer Professor, ist besonders begeistert, dass wir dieses Mal statt mit dem Flugzeug mit dem Fahrrad von Deutschland anreisen und setzt alle Hebel in Bewegung uns den Aufenthalt in der Türkei so angenehm wie möglich zu gestalten!
Berg Eins
Mein Professor organisiert uns über einen Arbeitskollegen eine Übernachtungsmöglichkeit auf dem Campus der Stadt Bilecik, die auf dem Weg nach Eskisehir liegt. Was wir nicht wissen: Die Stadt liegt auf einem ziemlich hohen Berg! Ob es der Umweg Wert ist? Wir wollen die großzügige Einladung dennoch nicht ablehnen. Ursprünglich sollte unsere Route durch das Tal führen, aber nun quälen wir uns den kompletten Anstieg zur Uni hinauf. Ein LKW hält neben uns! “Seid ihr sicher, dass ihr da hoch fahren wollt? Rampa, Rampa” (Steil, Steil). Auch das Gästehaus der Universität bietet sich als Taxi an. Wir bleiben stur. Sind doch nur 10 Km! Das müssten wir in einer Stunde schaffen… Aus Einer wurden Drei und so kommen wir fix und fertig an der Universität von Bilecik an. Kadir unser Kontakt wartet schon ungeduldig. Stolz zeigt er uns zusammen mit einem Empfangskomitee das Universitätsgelände und Gästehaus, indem normalerweise nur Professoren untergebracht werden. Wir fühlen uns geehrt. Lorena versucht die Erwartungen der Gastgeber zu besänftigen: “Wir fahren doch nur Fahrrad.” Doch das hilft Nichts. Am nächsten Morgen werden wir mit einem wunderbaren Frühstück verwöhnt, als wären wir hoher Staatsbesuch. Die Quälerei vom Vortag hat sich gelohnt. Auch die Abfahrt entschädigt mit toller Aussicht und 50km/h.
Berg Zwei
Man sollte den Menschen nicht alles glauben. Zumindest nicht, wenn man sich erkundigt, welche Route die Fahrradfreundlichste ist. Denn in den Dörfern in der Türkei fährt Niemand Fahrrad! Man fährt Auto! Warum? Das zeigt sich uns heute überdeutlich. Wir entdecken ein Schild mit der Aufschrift “Eskisehir” – unser heutiges Tagesziel – 34 Kilometer. Das ist wesentlich kürzer, als die Strecke, welche wir uns ausgesucht hatten. Zwei ältere Männer sehen uns ratlos auf unsere Karte schauen und kommen näher. Mit Händen, Füßen und etwas Türkisch versuchen wir heraus zu finden, ob die hier abgehende, kürzere Route sehr steil sei. “Kein Unterschied!” ist die Auskunft. Na dann! Wir treten motiviert in die Pedale. Vielleicht schaffen wir es ja doch am frühen Mittag in der Stadt anzukommen.
Ein paar Kurven später verpufft der Hoffnungsschimmer wie eine Seifenblase. Ich bin mir ganz sicher: Der Berg hat kein Ende! Die Strasse steigt permanent weiter gen Himmel. Das Fahrgefühl ist jedoch eher Höllenähnlich. Die Sonne steht hoch oben am Himmel und brennt auf uns herunter. Ich kann kaum noch hundert Meter fahren ohne danach wieder kurz anzuhalten, damit sich meine verkrampften Oberschenkelmuskeln wieder entspannen können. Wer kam eigentlich auf die Idee mit dem Fahrrad nach China zu fahren? Ich glaube, ich bin gar nicht der Typ für so Etwas. Eigentlich würde ich viel lieber irgendwo im Schatten liegen und ein Buch lesen. Oder einfach Schlafen. Nein, jetzt sitze ich hier auf einem völlig überladenen Fahrrad und fahre bei 34 Grad einen Berg hinauf!
Ich wünsche mir so sehr, dass einer der vorbeifahrenden Kleinlastwagen anhält und uns auf seiner Ladefläche mit nach Oben nimmt. Keiner hält an. Wahrscheinlich wollen sie unser sportliches Ego nicht in Frage stellen. Und eigentlich möchte ich das auch nicht. Zusammen reißen. In die Pedale treten! Berg hoch fahren! Einige Stunden und wenige Kilometer später haben wir es tatsächlich geschafft. 1200 Meter! Wir können es kaum erwarten die mühevoll erarbeiteten Höhenmeter hinunterzurollen! Doch die ernüchternde Wahrheit zeigt sich schnell. Eskisehir liegt auf 800 Meter und so rollen wir gerade einmal erbährmliche 400 Meter herunter, nachdem wir uns über Stunden Berg hoch gestrampelt haben. Lieber Gott, falls du noch ein mal eine Erde designst, vielleicht kannst du das mit der Schwerkraft und den Bergen ein wenig überdenken.
Eskisehir
Prof. Levend Kilic empfängt uns freudig am Universitätseingang und hat sich Einiges für unsere Zeit in Eskisehir einfallen lassen. Nach einer erfrischenden Dusche geht es direkt in ein Restaurant, welches sich auf dem riesigen Unicampus befindet. Dort werden wir der ESDAG Gruppe vorgestellt. (ESDAG= Eskisehir – Berg) Es ist eine Interessengemeinschaft für Fahrrad und Outdoor Sport. Sie kommen gerade von einem Event an der türkischen Süd-Küste, wo sich hunderte Biker treffen und welches jedes Jahr stattfindet. Lustigerweise hat dort auch das Pärchen teilgenommen, welches wir in Istanbul kennengelernt haben. So schließt sich wieder einmal der Kreis!
Der nächste Tag ist komplett verplant. Wir verbringen die Zeit mit Levend auf dem Campusgelände. Er führt uns herum. Stellt uns Leuten vor und hilft uns einige Dinge zu organisieren. Sogar ein Interview-Termin für eine türkische Zeitung steht auf dem Programm. Leider bleibt uns danach gerade noch eine Stunde, um durch die Stadt zu hetzen und einige Dinge zu erledigen, bis der nächste Programmpunkt auf uns wartet. In einer Bar, die wie für Reisende gemacht ist, treffen wir uns erneut mit Levend. Er stellt uns seine “Trekking-Gruppe” vor. Die Männer mit den verschiedensten Berufen treffen sich hier jede Woche zum Stammtisch. Eine gesellige Runde.
Danach geht es direkt weiter zum Vortrag der ESDAG-Gruppe. Der kleine Raum ist voll mit Leuten und es ist schwül-warm. “Habt ihr einen USB-Stick dabei?” Äh, wie jetzt? Erschrocken schauen wir uns an. Anscheinend gehen nicht WIR zu einem Vortrag. Wir SIND der Vortrag. Etwas überrascht stehen wir nun vor den rund dreißig Leuten, deren Blicke neugierig auf uns gerichtet sind. Zum Glück gibt es Internet, so dass wir kurzentschlossen unsere Webseite vorstellen. Und es scheint kaum aufzufallen, dass wir keinerlei Ahnung hatten, was uns erwartet.
Mit dem Bus von Eskisehir nach Safranbolu
Die Busfahrt erscheint uns anstrengender als ein Tag Fahrrad fahren. Auch wenn die türkischen Busse mit einem Entertainment Angebot aufwarten, das mit dem mancher Airline mithalten kann: Internet, Filme und Musik sind per Touchscreen auswählbar. Dazu bekommt man Tee, Wasser, Cola und Kekse serviert.
Müde vom Herumsitzen kommen wir am Abend in Safranbolu (UNESCO Weltkulturerbe) an und sind Levend unglaublich dankbar, dass er auch hier für uns eine Unterkunft organisiert hat. Wo wir wohl unterkommen? Nach einigem Herumfragen finden wir schließlich die Adresse von unserem Notizzettel. Mit offenen Mündern stehen wir da! Es ist ein traditionelles Haus mitten in der “Altstadt”. Das Zimmer ist riesig und liebevoll antik eingerichtet. Wow! Ein herzliches Dankeschön für diese wundervolle Unterkunft!