KAPITEL 15: Die letzten Tage in Serbien
SERBIEN

Auf Wiedersehen?

Auf Wiedersehen?

Abreise in Belgrad

Timm: Um kurz vor sieben wache ich auf. In fünf Minuten klingelt der Handywecker. Wir sind nun schon die vierte Nacht bei Rade und haben bereits ein schlechtes Gewissen, weil wir ursprünglich nur zwei Tage bleiben wollten. Doch bevor wir losfahren, versuchen wir noch etwas “Ballast” abzuwerfen. Passenderweise hat Rade eine Kofferwaage. Wir versuchen durch eine aufwendige Umpackaktion das Gepäck so zu verteilen, dass wir eventuell auf den Anhänger verzichten können. Könnte passen. Noch ein kurzes Abschiedsfoto mit Lucky dem Welpen, der uns in der kurzen Zeit genauso wie der alte Rüde Bobbie ans Herz gewachsen ist. Die beiden hüpfen um uns herum, während wir unsere Fahrräder beladen und realisieren im Gegensatz zu uns sicher nicht, dass gleich wahrscheinlich ein Abschied für immer folgt. Auch der schüchterne Bosnier aus Sarajevo, welcher ebenfalls in Rades Haus wohnt und in Belgrad Chemie studiert, schaut uns interessiert zu. Als wir dann in Richtung der Hauptstraße rollen, werfe ich noch einen letzten Blick zurück auf das Haus. Den Seufzer kann ich nur schwer unterdrücken.


Lorena: Ich stelle fest, dass es nicht gut ist, zu lange Zeit an einem Ort zu bleiben. Beinahe heimisch haben wir uns inzwischen in der kleinen Wohnung in dem Vorort von Belgrad gefühlt. Wahrscheinlich, weil sich so etwas wie Routine eingestellt hat. Bekannte Abläufe. Dazu hat auch Lucky beigetragen, der jeden Morgen, sobald die Haustüre aufging, fröhlich in unser Wohnzimmer hüpfte, um uns zu begrüßen. Außerdem habe ich das Gefühl, mein Körper dachte sich während der vier Tage Pause, das tägliche Fahrrad-Fahren hat nun endlich ein Ende. Leider muss ich ihn enttäuschen und ihm mitteilen, dass da noch Einiges vor uns liegt. Somit beschwert er sich mit starken Knie-, Po- und Muskelschmerzen. Aber davon lasse ich mich so schnell nicht unterkriegen. Wir fahren den Donaudamm entlang, der nun endgültig nicht mehr asphaltiert ist. Über groben Kies geht es in Richtung rumänischer Grenze.


Timm: Das Fahren ist angenehm. Durch die Umpackaktion hat Lorena deutlich mehr Gewicht bekommen, was sich an der ein oder anderen Steigung bemerkbar macht. Der Donaudamm hinter Pan?evo schlängelt sich mit grünem Gras bewachsen entlang der kilometerlangen Auen. Wir treffen einige Schaf-, Ziegen- und Kuhherden, die das Dammgras exakt auf die Höhe eines englischen Rasens knabbern.



Schwanensee

Schwanensee


Bieber oder nicht Bieber? Das ist hier die Frage...

Bieber oder nicht Bieber? Das ist hier die Frage...


Die Ziege und das Zicklein

Die Ziege und das Zicklein








Lorena: Unterhalb des Dammes am Donauufer präsentiert sich aufgrund der vielen Bastschirme eine dem Ballermann ähnelnde Strandlandschaft. Als wir uns nähern, stellen wir jedoch fest, dass das Wasser nicht wirklich zum Baden einlädt. Undefinierbare Kleinteile schwimmen in der Brühe. Direkt am Eingang ist eine Art Strandbar, die aber, so wie es aussieht, in den nächsten paar Monaten noch geschlossen bleibt. Im Moment wirkt sie nicht besonders einladend und ist vollgestellt mit allerlei Schirmen und Brettern. Für uns ist es perfekt. Ein alter Mann, der gerade vor seiner Fischerhütte am Holz hacken ist, gibt uns auf rumänisch zu verstehen, dass es in Ordnung ist wenn wir dort campen. Zumindest verstehen wir es so. Die eigentliche Konversation sieht nämlich so aus, dass wir ihm mit Handzeichen für “Schlafen” und “Zelt” und dem Wort “Camping” versuchen zu verdeutlichen, was wir möchten und er mit einer weiten Geste nickend um sich herum zeigt, was wir so deuten, als bedeute es: “Ja. Hier könnt ihr überall campen!” Also schlagen wir in der Mitte zweier Holztische unser Zelt auf und genießen unter den Bastschirmen unser Abendessen mit Blick auf eine wunderschöne naturbelassene Donaulandschaft. Ich bin gerade eingeschlafen, als einige Stimmen zu hören sind. Was machen wir eigentlich falsch? Es sind drei Personen. Eine Frau lacht. Das ist schonmal beruhigend. Anscheinend zwei Männer und eine Frau. Wir sind nicht sicher, ob sie unser Zelt entdeckt haben. Musik ertönt. Da wir nicht ruhig schlafen können, ohne zu klären, wer die Menschen sind, entscheidet sich Timm aus dem Zelt zu klettern und nachzusehen. Ich stecke nur meinen Kopf heraus. In der kleinen Hütte, die vorhin noch so verlassen und barikadiert wirkte, brennt nun Licht.


Timm: Ich ziehe mir meine Hose an (Ja, ich habe aus der Nacht mit den Hunden gelernt!) und klettere aus dem Zelt. Was wollen die bloß im April um elf Uhr in einer Gott verlassenen Strandbar? In der Hütte brennen zwei Kerzen. Drei Gestalten haben die Köpfe zusammengesteckt. Ich stelle mich in den Türrahmen und grüße mit “Dober Dan”. Die Frau spricht Englisch. Ich frage, ob sie damit einverstanden sind, wenn wir hier schlafen: “We sleep here! Is this ok?” Habe aber eher das Gefühl, als würde ich sagen: “Wir schlafen hier, könnten sie die Musik etwas leiser drehen?” Am nächsten Morgen kommt die Frau auf uns zu. Sie fragt, ob wir einen Kaffee trinken möchten und erklärt, dass sie hier zusammen mit ihrem “Darling” wohnt. Und die Moral von der Geschicht’: trau unbewohnten Häusern nicht!







Matschiger Donaudamm

Der Regen der letzten Nacht macht sich bemerkbar. Der staubige Weg entlang des Dammes ist aufgeweicht und der Wind peitscht ununterbrochen von der Seite über den Damm. DAuch die Schlaglöcher sind nun gefüllt mit Wasser und so bewegen wir uns im Schneckentempo und Zickzack-fahrend vorwärts. Mehr als 8 Km/h sind heute einfach nicht drin.


Lorena: Mehrmals kommt mein Rad so ins Rutschen, dass ich drohe umzufallen. Ständig dieser verfluchte Seitenwind! Am liebsten möchte ich gar nicht mehr weiter fahren. Aber das hilft mir ja dann auch nicht besonders viel. Weit und breit ist Nichts zu sehen außer Bäume, Wiese und Damm. Ich verfluche den Weg und Timm, der einige hundert Meter vor mir fährt und keine Rücksicht darauf nimmt, ob ich hinterher komme. Sobald wir in die Nähe einer Strasse kommen, werde ich die Beziehung beenden und nach Hause fliegen. Keine Lust mehr! Und schließlich ist dann doch ein Ende in Sicht und schnell habe ich vergessen, warum ich vor einigen Minuten noch so wütend war!


Timm: Lorena und ich reden mal wieder nicht miteinander. (Sie ist sauer, dass ich mich nicht genug um sie kümmer. Und ich verstehe es mal wieder nicht, da ich auf meine Hilfsangebote nur maulige Antworten erhalten hatte.)
Es ist sehr belastend unter ständigem Seiten- und Gegenwind zu fahren. Doch das Schlimmste am Wind ist nicht einmal, dass kraftraubende Fahrrad fahren, sondern das über Stunden ununterbrochene Pfeifen in den Ohren. Natürliche Foltermethode sozusagen. Am Ende der Tortur wartet eine Asphaltstraße und ein Fischerhaus mit Blick auf die an dieser Stelle fischreiche, zwei Kilometer breite Donau. Der Wirt ruft uns überraschender Weise auf Deutsch zu: “Kommt rein, hier könnt ihr euch ausruhen.” Genervt von den Strapazen nehmen wir dankend an und setzen uns auf die windstille, überdachte Terasse in butterweiche, dick gepolsterte Bastsessel. Der Blick ist traumhaft, wir bestellen zwei Bier. Der Wirt Milikovic setzt sich zu uns an den Tisch und meint zu seiner Frau: “So, jetzt will ich mit den jungen Leuten doch mal reden.” Und so erzählt er uns eine Stunde lang von seiner 20-jährigen Arbeit als Gastarbeiter in Wien. Von seiner Pflaumenplantage mit 1000 Stock. Seinem Hotel, welches mittlerweile durch den Sohn geführt wird. Seinem Fischereiclub. Vom deutschen Fleiß und dem serbischen Potential. Und von Lockomotiven, welche früher die Schiffe an einigen Stellen der Donau wegen der starken Strömung Fluss aufwärts ziehen mussten. Wir hören gespannt zu und schlürfen gelegentlich an unserem Jelen Pivo. Die frisch gebackenen mit Marmelade gefüllten Stückchen seiner Frau dürfen wir dann auch noch probieren! Vielen Dank dafür! Die waren großartig!



Serbische Geschichte auf der Anglerterasse

Serbische Geschichte auf der Anglerterasse


Heute hat Jens Geburtstag. Lorena und ich haben ihm auf unserer Webseite ein kleines Geburtstagsständchen gewidmet. Kurz vor der Grenze können wir in das rumänische Handynetz wechseln (endlich wieder EU Preise!). Ich verkrieche mich in einen Graben, um etwas Ruhe vor dem Wind zu haben. Es ist schön die Stimmen der Daheimgebliebenen zu hören. Und gerade zu Ostern, wenn die ganze Familie zusammen sitzt, wäre ich gerne bei ihnen.

Heute hat Jens Geburtstag. Lorena und ich haben ihm auf unserer Webseite ein kleines Geburtstagsständchen gewidmet. Kurz vor der Grenze können wir in das rumänische Handynetz wechseln (endlich wieder EU Preise!). Ich verkrieche mich in einen Graben, um etwas Ruhe vor dem Wind zu haben. Es ist schön die Stimmen der Daheimgebliebenen zu hören. Und gerade zu Ostern, wenn die ganze Familie zusammen sitzt, wäre ich gerne bei ihnen.

Eine matschige Angelegenheit

Wir beschließen noch eine Nacht in Serbien zu bleiben. Wieder einmal hat sich die eben noch wunderschöne Landschaft zu einer Camping unfreundlichen Einöde verwandelt. In einem wunderschönen Marillenhain sehen wir unsere letzte Chance für einen geeigneten Schlafplatz. Wir schieben die Räder durch die weiß blühenden Baumreihen und müssen nach nur zehn Metern feststellen, dass dies nicht die beste Idee war. Der Boden, welcher von Weitem wie eine grüne Wiese aussah, ist bei näherer Betrachtung feucht und erdig. Wie ein “Zwei-Komponenten-Kleber” pantscht sich das lehmartige Etwas aus Wasser und Erde zwischen Reifen und Schutzblech. Mein Fahrrad zeigt sich als wahrer Draht-Esel und weigert sich standhaft, sich auch nur ein Stück weiter zu bewegen. Die Reifen blockieren. Nichts geht mehr. Rien ne va plus. Nicht vor und nicht zurück. Also Taschen ab und das Zelt an Ort und Stelle aufstellen. Ich bin mit meiner Geduld am Ende. Wind. Ok. Regen. Ok. Nervige Freundin / nerviger Freund. Ok. Schlafplatzsuche im Dunkeln. Mittlerweile Ok. Aber jetzt auch noch mit zwei Kilogramm extra Gewicht an den Füßen ins Zelt kriechen. Definitiv nicht mehr Ok! Wenigstens kann man auf dem Schlamm Wirbelsäulenfreundlich schlafen.
Am nächsten Morgen zeigt sich erst das Ausmaß unserer Übernachtung im Matsch. Die Räder meines Fahrrads lassen sich noch immer nicht drehen (warum sollten sie auch?) und so wird es eben bis zur Strasse getragen. Nach einer knapp einstündigen Freikratzaktion ist eine Art Rollen endlich wieder möglich. Und so stehen wir schlammig und ungewaschen auf der schnurrgeraden Strasse, als sich sehr zügig ein bepacktes Fahrrad nähert. “Hey, schau mal! Da kommt wieder ein Weltenbummler”. Lorena antwortet ungläubig: “Der ist doch viel zu schnell!” Er ist jedoch eine Sie und tatsächlich auf Weltreise! Das Timing könnte perfekter kaum sein. Ohne Frühstück und Morgenwäsche stehen wir zerzaust am Straßenrand und puhlen mit kleinen Stöckchen wie Primaten den Lehm aus dem Reifenprofil. Und dann steht sie da! Die Schweizerin. Acht Uhr, Wind, die Frisur sitzt. Voller Energie und gut gelaunt. Die Kette blitzt. Sie erzählt uns stolz in ihrem neongelben Radleroutfit von einer perfekt durchorganisierten Tour nach China inklusive einiger Altenativpläne, falls Etwas nicht klappen sollte. Wo hingegen wir noch nicht ein mal sagen können, wohin uns der Weg die nächsten Tage führt. Erkenntnis des Tages (heute passenderweise schon sehr früh): “Lasst euch nicht so gehen, putzt mal wieder eure Räder und macht endlich mal wieder ein paar Kilometer!” Wir haben verstanden, treten in die Pedale und versuchen die neongelbe Erscheinung, die schon lange wieder am Horizont verschwunden ist, einzuholen.



Auf den ersten Blick gar nicht so schlecht, oder?

Auf den ersten Blick gar nicht so schlecht, oder?














Serbien: Impressionen















Kapitel 14: Serbien
SERBIEN

Von Ungarn über Kroatien nach Serbien

Von Ungarn über Kroatien nach Serbien

Pause zwischen Schilfbündeln

Pause zwischen Schilfbündeln

Grenzen

Passkontrolle. Der Beamte an der ungarisch-kroatischen Grenze kommt aus seinem Kontrollhäuschen und steht stillschweigend an der Schranke. Da wir nicht genau wissen, was er von uns möchte, sagen wir: „Wir wollen nach Kroatien.“ Logisch, schließlich stehen wir an der Grenze! Auf jeden Fall hat unsere Aussage den Mann erheitert und er zeigt grinsend in Richtung Kroatien, als wolle er sagen: „Ja, es ist dort drüben!“ Danke! Wir zeigen unsere Pässe, passieren, und befinden uns im Zwischenraum der zwei Länder. Für die Kontrolle auf der kroatischen Seite ist eine junge Frau zuständig. Im Hintergrund einige Männer. Ich frage mich, ob es die Uniform ist, die an ihnen so Respekt einflößend wirkt? Oder vielleicht die versteinerten Mienen? Die ernste, fast maschinelle Art, in der die Fragen gestellt werden: „Where are you going?“ Wohin wollt ihr? „Nach China!“ ist Timms schlagfertige und knappe Antwort. Absolut passend, denn die Beamten lächeln nun und in ihren Gesichtern spiegelt sich so etwas wie Anerkennung und Symphatie wieder. Auch an der serbisch-kroatischen Grenze löst die Antwort „China“ den gleichen Effekt aus.
Serbien ist in meinem Kopf unweigerlich mit dem Thema Krieg verbunden. Doch eigentlich weiß ich rein gar nichts über das Land. Und wenn man nicht genau weiß, was einen erwartet, fühlt man sich erst einmal fremd und verloren. Kyrillische Buchstaben sind für mich unlesbare Zeichen. Auch die beiden bewaffneten Soldaten, die kurz nach dem Grenzübergang am Straßenrand stehen und uns ohne jegliche Mimik mustern, tragen nicht sonderlich zum Wohlbefinden bei. Wir überholen eine Kutsche, die von einem viel zu kleinen, wohl ehemals weißen Pferdchen gezogen wird. Ein schmuddelig wirkender älterer Mann grinst uns vom Bock aus zahnlos entgegen. Fast erschreckend ist das Bild, welches sich uns auf dem ersten Streckenabschnitt zeigt. Großflächig brandgerodete Gebiete. Der Geruch von brennendem Müll liegt in der Luft. Ein Mann, dessen Gesicht so schwarz ist wie die verbrannte Erde um ihn herum, bahnt sich seinen Weg durch die glimmenden Berge aus Plastik und anderer Überbleibsel. Doch umso weiter wir uns von der Grenzregion entfernen, umso mehr zeigt sich auch wieder die Natur ohne Schäden menschlichen Handelns. Die Leute begrüßen uns im Gegensatz zu der eher verschlossenen und schüchternen Art der Ungarn mit einer offenherzigen Freundlichkeit, winken uns zu, hupen, feuern uns an. Es ist schön und trägt dazu bei, dass wir uns in Serbien schnell wohl fühlen.


Entlang verbrannter Erde

Entlang verbrannter Erde

Lebende Tiere

Heute fahren wir die meiste Zeit entlang eines Dammes durch ein wunderschönes Naturschutzgebiet. Wir können uns nicht entscheiden, ob die Auenlandschaft mit den uralten, verwachsenen Bäumen eher als Kulisse für ein Märchen oder einen Gruselfilm wie Sleepy Hollow dienen könnte. Faszienierend ist sie allemal. Es ist kein Mensch in Sicht und es tut gut nach all den aufgeforsteten Wäldern, mit Bäumen in Reih und Glied, ein Stück belassene Natur zu entdecken. Unterhalb des Donaudammes befindet sich eine Wasserlandschaft, um die sich eine riesige Rotte Wildschweine mit etlichen Frischlingen tummelt. Ich stoppe abprupt und deute auf die Tiere. Diese bemerken uns beinahe gleichzeitig, behalten uns im Blick, lassen sich aber nicht wirklich stören. Timm will gerade die Kamera zücken, als ausgerechnet in diesem Moment zwei Traktoren heranknattern. Dieses Timing ist unglaublich! Die Wildschweine entscheiden sich nun doch für den Rückzug. Während die Familienbande ins Dickicht trabt, hält ein riesiger, dicker Eber Wache, beobachtet uns und die Umgebung und zieht sich dann als Letzter schließlich auch zurück. Wir sind begeistert eine so große Rotte gesehen zu haben und gleichzeitig auch ein wenig entäuscht, dass es nur für den kurzen Moment war. Die meisten Tiere, die uns bisher begegneten lagen tot im Strassengraben. (Auf unserer „Roadkill“-Liste sind wir mittlerweile bei 78 toten Tieren angekommen: von Rebhuhn, Schlange und Dachs, über Hunde, Schweine und Rehe, bis hin zu Füchsen, Eulen und einem Adler). Das ist zwar vielseitig, aber nicht die Art von Tierbeobachtungen, die wir uns wünschen. Naja, den Biber suchen wir ja auch immer noch!


Die Wildschweine ziehen sich zurück

Die Wildschweine ziehen sich zurück

Lorena begutachtet vorsichtig die alte Brücke

Lorena begutachtet vorsichtig die alte Brücke

Wo sind sie denn hin die Schweinchen?

Wo sind sie denn hin die Schweinchen?



Donauradweg

Donauradweg

Novi Sad

Ohne jegliche Erwartungen nähern wir uns Novi Sad. Verostete, verstaubte Wagen, deren Auspuff des Öfteren gefährlich nah über dem Asphalt hängt werden abgelöst von polierten Neuwagen. Zwischen den uns aus ländlicheren Gegenden bereits bekannten, eher bescheidenen Häusern, ragen nun einige Villen hervor. Sie sind durch hohe Mauern abgeschottet von ihrer Umwelt. Wohlstand und Armut bestehen hier direkt nebeneinander. Auf der einen Seite des Weges liegt ein vornehmer Tennisplatz auf dem Kinder in Markenklamotten unterrichtet werden, auf der anderen Seite eine Hütte, die gerade noch von Brettern und Plastiksäcken zusammengehalten wird. Die Ungleichheit ist erschreckend und dennoch fasziniert die augenscheinliche Toleranz und Koexistenz. Die Vorstadt besteht aus großen, grauen Hochhäusern deren Balkone überfüllt und zugestellt wirken: viele Menschen gedrängt auf engstem Raum. Kinder spielen inmitten von Müll mit verwahrlosten Hunden. Eine andere Welt. Ich fühle mich unwohl. Nicht, weil ich die Gegend beängstigend finde, sondern weil ich mich in meiner bunten Markenkleidung und auf meinem hochwertigen Fahrrad deplatziert und überheblich fühle. Doch wir scheinen überhaupt nicht aufzufallen. Es gibt keine abwertenden oder gar neidischen Blicke. Je näher wir dem Stadtzentrum kommen, desto mehr ändert sich meine Selbstwahrnehmung. Die Kleidung, welche mir eben noch protzig vorkam, fühlt sich nun schmutzig und plump an. Sehen und gesehen werden ist das Motto in Novi Sads Innenstadt. Frauen in engen Jeans und High Heels präsentieren sich zwischen den Leuten, die bei Zigarette und Kaffee in gemütlichen Stühlen unter Sonnenschirmen sitzen. Wie bei einer Modenschau, schieben wir die Räder durch die Menge und werden neugierig begutachtet.







Wir fragen uns durch auf der Suche nach einem günstigen Hostel. Es soll Eines mitten in der Innenstadt geben. Lorena wartet bei den Rädern. Von außen lässt nur die Klingel erkennen, dass es irgendwo in diesem Wohnblock ein Hostel gibt. Ich schleiche über Flure und Etagen, über Innenhöfe und Balkone. Kein Hostel. Nur ein Fahrrad. Moment, das kenne ich doch irgendwoher. Es ist Julians Fahrrad! (Der weissharige Waliser, der auch auf dem Weg nach Istanbul ist.) Leider hat Julians Hostel keinen Platz mehr für weitere bepackte Räder und Radler. Eine Etage tiefer entdecke ich bei meiner Suche ein Schild: „Deutschunterricht“. Ich klingel. Die Dame ist sehr hilfsbereit und gibt uns ihren Mann mit auf den Weg. Dieser versteht zwar kein Deutsch und auch kein Englisch, führt uns aber geradewegs zum nächsten Hostel. Perfekt, denke ich. Treppe rauf, durch die Tür. Oje, vertan! Das ist wohl die falsche Wohnung. Zwei ältere Damen sitzen auf dem Sofa im Wohnzimmer und schauen mich neugierig an. „Äh Hostel, ich… äh… I‘m searching for the Hostel.“ Oh man, peinlicher kanns jetzt nicht mehr werden. Die Damen reden in serbisch auf mich ein. Ich bin gefühlte vier Köpfe größer als sie. Aus einem Nebenzimmer kommt ein blonder, gelockter Typ etwa gleichen Alters hinzu. Er hingegen ist gefühlte vier Köpfe größer als ich. Er trägt eine zu kurze, schwarze Lederjacke und Cowboystiefel. Dönerfutternd erklärt er mir in einsilbigem Englisch und deutschem Akzent, dass das hier wohl das Hostel sei. „Wie jetzt? Hier wohnen doch zwei alte Damen?“ frage ich ihn. „Nein, die Chefin ist gerade nicht da. Aber ist kein Problem.“ Der Typ verschwindet wieder in dem Zimmer und lässt mich mit den beiden Damen zurück. Ahja, und wieviel kostet das hier? Ich brauche Ruhe und habe keinen Nerv meine müden Knochen für den Rest des Tages mit Zeichensprache auf Trab zu halten. Das nächste Hostel ist nur ein paar hundert Meter weiter. Von dem Besitzerpärchen werden wir freundlich empfangen und bekommen für den gleichen Preis statt Wohngemeinschaft mit Seniorenbetreuung ein nettes kleines Zimmer, mit französischem Bett, frischen Handtüchern und Stereoanlage.


Der absolute Geheimtipp

Wer kein Geld für eine Stadtführung zahlen will, und auch keine Lust auf die von Touristen überlaufenen “Sehenswürdigkeiten” hat, wer die Stadt intensiv und von allen Seiten erleben möchte, der sollte sich einfach auf die Suche nach einem Waschsalon machen.
So wie ich. Lorena hat fast unsere gesamte Wäsche in das große Badetuch gewickelt und fest verschnürt. Der riesige Wäschesack auf dem Gepäckträger unserer normalerweise eher wuchtig wirkenden Räder, lässt diese nun irgendwie lustig und klein erscheinen. Aber vielleicht liegt es einfach nur daran, dass ich auf Lorenas Fahrrad sitze, meine Füße auf dem Boden schleifen und ich mir dabei vorkomme wie auf ihrem Pony. So fahre ich mit diesem überdimensionierten Stoffkneul und dem unterdimensionierten Fahrrad durch Novi Sad. Ich frage hier und da die Passanten nach einem Waschsalon. Diese antworten mit: “Hier!” und “Da!” Und so lande ich hier und da: in Wäschereien, Hinterhöfen, Sackgassen und einem Spielcasino, was wohl früher einmal eine Wäscherei war.
Für 3 Euro inkl. Waschpulver, Zehn-Kilometer-Fahrradtour und Hinterhof Sightseeing durch Novi Sad, finde ich letzten Endes doch noch einen kleinen Waschsalon mit 3 Waschmaschinen. Der Inhaber liegt auf einer Couch und schaut gemütlich Fernsehen. Ich darf nach 2 Stunden wiederkommen und die frisch duftende und ordentlich zusammengelegte Wäsche abholen. “If you like it, you can come again” ruft er mir hinterher und ich antworte “Yes” und denke “maybe next year”.


Apfelblüten? Kirschblüten? Wer weiss die Antwort?

Apfelblüten? Kirschblüten? Wer weiss die Antwort?

Partycrasher

Am Nachmittag brechen wir in Novi Sad in Richtung der serbischen Hauptstadt auf. Es ist Samstag. Wir haben keine Eile, denn für die knapp 100 Kilometer bis Belgrad haben wir bis Montag morgen Zeit. Denn erst dann kann uns Rade empfangen, welcher uns eine Unterkunft zur Verfügung stellen wird. Der Weg führt uns erneut entlang recht stark befahrener Strassen. Der Verkehr nimmt noch mehr zu, als eine Hochzeitsgesellschaft bestehend aus mindestens dreißig Fahrzeugen sich hupend den Weg bahnt. Wir stimmen mit unseren Klingeln in das Hupkonzert ein. Die Strasse schraubt sich nun fort von der Donau eine wunderschöne Hügellandschaft hinauf und es tut gut immer mal wieder durch den ein oder anderen hupenden Autofahrer angefeuert zu werden. So fahren wir mal wieder, bis die Sonne am Horizont verschwunden ist. Inmitten der endlos weiten Ackerlandschaft natürlich ohne jegliche Bäume steht plötzlich ein großes Schild markant am Strassenrand: Restaurant und Pension. Vielleicht soll das ein Hinweis für uns sein! Wir schieben unsere Räder über den geschotterten Parkplatz auf dem eine Menge Autos stehen und werden neugierig begutachtet. Natürlich fallen wir auf, als wir in die Gaststätte eintreten, um nach einer Campingerlaubnis zu fragen. Wir stellen fest, dass wir wohl inmitten einer Veranstaltung gelandet sind. Hoffentlich keine Beerdigung! Doch eine Menge Kinder hüpft in bunten Kleidern lachend durch den Garten und auch sonst sieht man keine trauernden Gesichter. Ein junger, sehr freundlicher Kellner gibt uns das OK und schaut uns nur verwirrt an, als wir fragen, was es denn kosten würde! So schlagen wir unter neugierigen Blicken zwischen den Apfelbäumen unser Zelt auf, um uns darauf ein kühles Jelen Pivo im überdachten Biergarten (oder wie auch immer man das in Serbien nennen mag) zu gönnen. Ein Mann kommt schüchtern in Richtung unseres Tisches und stellt sich uns als der Besitzer vor. „I have a room for you.“ Überrascht erklären wir ihm dankbar, dass wir unser Zelt bereits aufgebaut haben, es für uns völlig in Ordnung sei, darin zu schlafen und wir dankbar sind, hier überhaupt zelten zu dürfen! Ungläubig schaut er uns an: „You don´t need to pay!“ Auch hier scheint es so, als wäre es den Leuten beinahe unverständlich, wie man um diese Jahreszeit draußen schlafen kann. Als wir ihm erzählen, dass wir in Deutschland bereits bei Minusgraden gezeltet haben, gibt er sich geschlagen, wiederholt aber, dass wir das Zimmer morgen früh zumindest zum Duschen benutzen können. Wir genießen unser Bier und lassen die Athmosphäre auf uns wirken. Von unserem Platz können wir beobachten, wie sich die Schar aus Kindern einen Spaß daraus macht, immer näher an unser Zelt heran zu schleichen. Es muss einen angsteinflößenden Eindruck machen, denn immer wieder rennen sie schreiend davon. Es tut gut zu sehen, welche Wirkung unser Zelt anscheinend auf Andere hat. Eine Band stimmt mit Gitarren ein serbisches Lied an und wir trauen unseren Augen kaum, als der Kellner beladen mit einem Brotkorb und zwei dampfenden Tellern vor uns steht. Gegrilltes! Ein Traum. Unser Grinsen ist so groß, dass es schwer fällt zu essen. Als uns zum Nachtisch auch noch zwei köstliche Kuchen serviert werden, fühlen wir uns wirklich wie im Paradies. Es fällt fast schwer, mit so viel Gastfreundlichkeit und Großzügigkeit umzugehen, da wir nicht wissen, wie wir uns am besten erkenntlich zeigen können. Vielleicht muss man es so sehen wie in dem Film „Das Glücksprinzip – Pay it Forward: Nach dem Prinzip „Weitergeben“ soll man drei anderen Menschen etwas Gutes tun. Diese geben den Gefallen nicht zurück, sondern helfen ihrerseits jeweils drei anderen Menschen. So breiten sich die guten Taten nach dem Schneeballsystem immer weiter aus“. Ein schöner Grundsatz, wie ich finde.


Es ist unglaublich, wie sehr man sich über ein gegrilltes Stück Fleisch freuen kann.

Es ist unglaublich, wie sehr man sich über ein gegrilltes Stück Fleisch freuen kann.

Und dann setzt auch noch die Musik ein. Schöner kann der Abend nicht werden. Oder doch?

Und dann setzt auch noch die Musik ein. Schöner kann der Abend nicht werden. Oder doch?

Noble Absteige

Da sich bis kurz vor Belgrad keine Zeltmöglichkeit bietet, fahren wir zu dem in unserer Karte eingezeichneten Campingplatz. Ein Mann lugt aus seinem Häuschen, begutachtet uns und unsere Fahrräder und fängt an Zahlen auf seinem Block zu addieren. Letztendlich kommt er auf den stolzen Preis von 1900 Dinar also knapp zwanzig Euro und fügt noch hinzu, dass es aber kein warmes Wasser gibt. Auf dem Fenster, durch welches er uns anschaut und auf unsere Entscheidung wartet, klebt ein Sticker des ADAC und ich beschließe, mich bei diesem zu melden und eine passende Bewertung abzugeben sobald wir Zugang zum Internet haben. Eine Frechheit! Dafür dass ich mein Zelt auf einer hässlichen Wiese aufschlagen darf, zahle ich keine zwanzig Euro. So drehen wir um und begeben uns ein paar hundert Meter weiter in Richtung einer Grünfläche, auf der sich einige Häuser in der Bauphase befinden. Meine Laune wird nicht besser, als ich mitsamt meines Fahrrads aufgrund einer Kuhle umfalle. Timm bricht nur in Lachen aus, da ich anscheinend einen merkwürdigen Laut wie „Ohj!” von mir gegeben habe und ziemlich blöd aus der Wäsche gucke.
Vier pompöse Villen entstehen am Rande der Steilküste. Doch umso näher wir ihnen kommen, umso deutlicher wird, dass die Entstehung wohl schon vor einigen Jahren begonnen haben muss und es fraglich ist, ob sie jemals fertig gestellt werden. Wir entscheiden uns für eines der mittleren Häuser. Zwei Flügel und in der Mitte ein großer kreisrunder Saal mit terassenartiger Empore. Ob es nicht gruselig ist, vor solch einer Bauruine zu Zelten? Doch, ist es! Aber wir wollen am Ende unserer Reise nicht als Angsthasen dastehen, weil wir ständig darüber berichten! So wachen wir am nächsten Morgen auf und siehe da es ist Nichts passiert! Da wir nun mit großer Sicherheit davon ausgehen können, dass das Haus wirklich unbewohnt ist, entscheiden wir uns für eine kurze Besichtigung mit anschließendem Frühstück auf der Terasse. Der Blick auf die Donau, die breit unterhalb der Steilküste fließt und über der am Horizont Belgrad im Sonnenlicht thront, ist umwerfend und wir können nicht verstehen, warum diese Häuser keinen Besitzer finden.


Willkommen in unserem bescheidenen Heim.

Willkommen in unserem bescheidenen Heim.



Frühstück mit Aussicht

Frühstück mit Aussicht

Belgrad

Als erstes muss leider gesagt werden: Belgrad ist absolut nicht fahrradfreundlich! Wahrscheinlich haben noch nicht einmal die Autofahrer Spaß daran, sich durch die engen und überfüllten Strassen zu schieben. Und so werden die Fahrradhelme aufgesetzt und wir versuchen etwa das gleiche Tempo zu fahren, wie die Busse, deren Spur wir mitbenutzen. Die halbstündige Fahrt, bei der man ständig schauen muss, nicht von links, rechts, vorne oder hinten über den Haufen gefahren zu werden, ist anstrengender, als hundert Kilometer steil bergauf zu fahren. In Lederjacke und mit Sonnenbrille erwartet uns Rade freundlich lächelnd unter der Pancevo Bridge, um uns den weiteren Weg zu seinem Haus zu beschreiben. Auf der Brücke, die wir überqueren müssen, herrscht reger Verkehr und wir ziehen es vor, den schmalen Bürgersteig zu benutzen. Ich bin froh, wenn wir die andere Seite lebend erreichen, da die Brücke an manchen Stellen nicht mehr den vertrauenswürdigsten Eindruck macht und der Gehweg verdächtige Löcher aufweist. Wenn jedoch Busse und Lastwagen im Eiltempo darüber rasen können, wird sie wohl auch noch zwei bepackten Rädern inklusive dazugehöriger Personen Stand halten. Und ja, wir kommen sicher bei Rade an! Das Haus befindet sich in einer netten Vorstadt-Siedlung. Ein Schäferhund und ein kleiner, weißer Welpe luken aus dem Tor heraus. Wir sind überrascht, als Rade uns mitteilt, dass wir in der kleinen Wohnung alleine sind. Er wohnt inzwischen in der Stadt und nutzt sie nur gelegentlich. Nur sein 23-jähriger Sohn bewohnt die obere Wohnung.
Wir fühlen uns schon fast heimisch. Es tut gut, mal etwas länger an einem Ort zu verbringen und die beiden Hunde sind uns schnell ans Herz gewachsen. Dennoch kribbelt es in meinen Beinen und der Drang zum Weiterfahren wird immer stärker. So brechen wir auf in Richtung Bukarest.


Zemun, Vorstadt von Belgrad. Mal so...

Zemun, Vorstadt von Belgrad. Mal so...

...und mal so.

...und mal so.

Hässlicher kleiner Fratz, aber total süß!

Hässlicher kleiner Fratz, aber total süß!

Markt in Kotez, dem kleinen Vorort, wo wir zur Zeit wohnen.

Markt in Kotez, dem kleinen Vorort, wo wir zur Zeit wohnen.

Ausländer sieht man hier selten. Wir bekommen Feta und Speckwürfel geschenkt.

Ausländer sieht man hier selten. Wir bekommen Feta und Speckwürfel geschenkt.

Füße hochlegen, nach dem Stadtrundgang.

Füße hochlegen, nach dem Stadtrundgang.

Wir besichtigen die Festung.

Wir besichtigen die Festung.

Kapitel 13: Begegnungen
DREI-LÄNDER-ECK

Wir treffen Sara und Kristóf am Donaustrand. Sein superleichtes Liegerad, mit welchem er die 616 km lange Strecke von Prag nach Budapest in 36 Stunden (ohne zu Schlafen!) zurücklegte, ist ein wahrer Kontrast zu unseren „Packeseln“.

Wir treffen Sara und Kristóf am Donaustrand. Sein superleichtes Liegerad, mit welchem er die 616 km lange Strecke von Prag nach Budapest in 36 Stunden (ohne zu Schlafen!) zurücklegte, ist ein wahrer Kontrast zu unseren „Packeseln“.





Internationaler Austausch

Bald erreichen wir Serbien. Gestern haben wir festgestellt, dass wir keinerlei Kartenmaterial für den serbischen Donauabschnitt haben. Improvisation oder nach der Grenze irgendwo eine Karte besorgen. Die Stadt Baja ist unser letzter größerer Anlaufpunkt auf der ungarischen Seite. Die Strecke dorthin verläuft geradlinig auf dem Donaudamm entlang. Am Horizont taucht ein Punkt auf, welcher sofort unsere volle Aufmerksamkeit hat. Das kann doch nicht schon wieder ein Weltenbummler sein? Doch tatsächlich: Ein Mann auf einem voll bepackten Fahrrad! Er springt uns entgegen und drückt uns bevor wir irgend etwas sagen können eine Karte von Serbien in die Hand! Kann das Zufall sein? „Where are you from?“ Jean-Claude ist Franzose und kommt gerade aus Pakistan zurück. Er verkörpert wohl den „typischen“ Weltreisenden: Die Haut zeigt deutliche Spuren der Sonne. Er wirkt fast ein bisschen verstreut und erinnert an Tom Hanks aus “Cast Away”, fasziniert jedoch mit einer geballten Ladung Lebensenergie. Es scheint, als wäre das Leben für ihn völlig umkompliziert. Vielleicht die französische Gelassenheit? So verspürrt man bei ihm kein Gefühl der Frustriertheit, als er uns erzählt, er wollte eigentlich ebenfalls bis China reisen, wurde jedoch an der Grenze zu Pakistan zurückgewiesen. Also drehte er um. Der Weg und das Reisen an sich sind für ihn bedeutsam und eine Art Lebensphilosophie. So arbeitet er drei Monate im Jahr als Fotograf. Den Rest der Zeit verbringt er irgendwo in der Welt auf seinem Fahrrad.
Kennt ihr das, wenn man auf eine Ameisenstrasse ein kleines Stück Brot wirft und an dieser Stelle ein riesiger Stau entsteht? So ähnlich verlief die Situation auch. Wir treffen Jean-Claude und halten an. Plötzlich stehen neben uns zwei deutsche Lehrerinnen, die in Baja unterichten und gesellen sich dazu und so entwickelt sich das kleine Wegstück an der Donau zu einem wahren Meeting Point. Ein Austausch über Land und Leute, Mentalität, kurzer Lebensgeschichten, Routenberatung und gleichzeitigem Sprachunterricht.



Man sieht Jean-Claude die Reiseerfahrung an, sowohl im Gesicht, als auch am Fahrrad.

Man sieht Jean-Claude die Reiseerfahrung an, sowohl im Gesicht, als auch am Fahrrad.


Deutschlehrerin Birgit wollte uns auf ein kühles Bier einladen. Leider hatte das einzige Lokal in der Nähe geschlossen und so bleibt uns nur ein Erinnerungsfoto vor verschlossenen Türen. Danke Birgit und Ulrike für die Begleitung.

Deutschlehrerin Birgit wollte uns auf ein kühles Bier einladen. Leider hatte das einzige Lokal in der Nähe geschlossen und so bleibt uns nur ein Erinnerungsfoto vor verschlossenen Türen. Danke Birgit und Ulrike für die Begleitung.

Ein Paradies an der Donau. Aufgrund von Regenmangel liegt die Auenlandschaft im Trockenen.

Ein Paradies an der Donau. Aufgrund von Regenmangel liegt die Auenlandschaft im Trockenen.

Fähre nach Mohács

Fähre nach Mohács

Geld loswerden

Zehn Kilometer vor der Grenze. Wir kratzen alles an ungarischen Forint aus unseren Taschen zusammen was noch übrig ist und kommen auf knapp 6000 HUF. Das sind umgerechnet etwa zwanzig Euro. Wir machen einen kleinen Abstecher mit der Fähre auf die andere Donauseite nach Mohács, um es auf den Kopf zu hauen. Entweder wir kaufen eine große Menge Lebensmittel oder wir gönnen uns einen Restaurantbesuch. Die Entscheidung fällt auf Zweiteres, da es ja auch dazu dient die ungarische Küche kennen zu lernen (auch wenn wir uns gerade kurz vor der serbischen Grenze befinden). Wir fragen uns durch und landen in einer kleinen netten Pizzeria, wo wir die regional typische Halászle probieren. Eine Suppe, rot und würzig in der ein Karpfen schwimmt. Dazu gibt es Nudeln. Testurteil: Gut, jedoch nicht ausreichend, um in die Liste der absoluten Leibspeisen aufgenommen zu werden. Da wir nicht wiederstehen konnten, haben wir für das Essen so viel ausgegeben, dass nur noch das Geld für die Rückfahrt mit der Fähre bleibt. Der geplante Einkauf fällt somit aus. In Serbien gibt es ja auch Geschäfte. Verhungern werden wir schon nicht. Als wir gerade aufbrechen wollen, steht plötzlich Julian neben uns. Er kommt aus Wales und fährt mit seinem Rad entlang der Donau bis nach Istanbul. Jedoch will er statt auf der serbischen die kroatische Seite entlang fahren. Inspiriert von Julian entscheiden wir uns spontan ebenfalls dazu. Kaufen mit den letzten 1000 HUF – die eigentlich für die Fährüberfahrt gedacht waren – Proviant, um dann einen Tag bargeldlos in Kroatien zu überleben und dann erst die Grenze Serbiens zu passieren. So beginnt unser kleiner Kurztrip…



Die für die Region typische Halászle (Fischsuppe).

Die für die Region typische Halászle (Fischsuppe).


Wir treffen Julian aus Wales.

Wir treffen Julian aus Wales.


Wir tauschen Adressen aus und verabreden uns für Belgrad. (Julian, where are you?) :)

Wir tauschen Adressen aus und verabreden uns für Belgrad. (Julian, where are you?) :)


Es ist jedes mal spannend das Fahrrad eines anderen Fahrradnomaden zu begutachten. Julian hat einen großen Knüppel zur Abwehr von Hunden.

Es ist jedes mal spannend das Fahrrad eines anderen Fahrradnomaden zu begutachten. Julian hat einen großen Knüppel zur Abwehr von Hunden.

Ein Tag Kroatien

Und wieder einmal findet sich kein Schlafplatz. Der einzige Weg der scheinbar in Richtung Natur und Einsamkeit führt, wird von einem wirklich übel drein schauenden Hund versperrt, der seine Schafe beschützen will. Also erklimmen wir mit letzter Kraft einen Berg (eigentlich war es ein Hügel) und ich wünsche mir vom Universum, dass dahinter ein landschaftliches Paradies auftaucht, mit einem Haufen idyllischer Schlafplätze! Das Paradies taucht auf! Allerdings auf der Seite des Berges, die wir gerade hinauf gefahren sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass genau der Weg, der von dem Hund blockiert wurde, dorthin geführt hätte. Natur wohin das Auge reicht! Auf der anderen Seite zeigt sich die Donau in ihrer vollen Pracht. Jedoch stehen überall Häuser. Die kroatische Grenze auf der einen, die serbische Grenze auf der anderen Seite. Eine Vielzahl von Apfelplantagen, die allerdings von ihren Besitzern fein säuberlich eingezäunt wurden. Also immer weiter in Richtung Donau, vielleicht findet sich dort doch noch ein nettes Plätzchen. Ein freundlicher Kroate schickt uns zur „Zelenilo otok“ – der Grünen Insel! Das klingt nach Idylle! Auf dem Weg dorthin, kommen uns gleich zwei Wagen der Grenzkontrolle entgegen und ich fühle mich wie ein gesuchter obdachloser Schwerstverbrecher auf Verstecksuche. Die Insel, die in meinen Vorstellungen grün und verlassen war, ist besetzt von größtenteils leer stehenden, kleinen Ferienhäusern. Um eines ist ein Band gewickelt „Stopp! Polizei!“ Die Zellen in unserem Gehirn, die für Verschwörungstheorien zuständig sind formieren sich, um eine neue spektakuläre Geschichte zu dieser Beobachtung zu erfinden. (Eines unserer liebsten Hobbies auf der Reise.) Ohne genaues Ziel fahren wir immer weiter. „Bestimmt Droggenschmuggel!“ ruft es in meinem Kopf. Hinter einem Häuschen, am Donauufer, legen gerade drei Männer mit einem Boot an. „Das sind sie!“ ruft die Stimme in meinem Kopf. Sei still, denke ich und wir gehen auf die drei Gestalten zu. „Do you speak English?“ Eine interessante Truppe die Drei. Einer ist groß, rothaarig mit Vollbart. Dem Anderen sieht man auf den ersten Blick an, dass er schon ein paar Sliwowitz zu viel hatte und dann ist da noch einer, etwa in unserem Alter welcher in perfektem Englisch antwortet: „Of course!“. Die Drei laden uns zu Bier und dem selbstgefangenen Fisch ein. Es ist ein wirklich schöner Abend mit den Dreien, die verschiedener nicht sein können. Der stark alkoholisierte „Simba“ (das ist sein Spitzname und wahrscheinlich nicht richtig geschrieben!) ist angeblich sogar auf kroatisch kaum noch zu verstehen und sein Englisch-Wortschatz reicht gerade für: “United Colors of Benetton” und “Forever Young”, was uns herzlich zum Lachen bringt. Der Rothaarige, mit dem Spitznamen „Kollege“, welcher während er die Fische ausnimmt stillschweigend zuhört. Später erfahren wir, dass er eigentlich auch etwas Englisch spricht. Der aufgeschlossene Ivan ist Englisch- und Geschichtslehrer und informiert uns über Kultur, Historie und gesellschaftliche Zusammenhänge der Region. Aber wir sprechen auch über persönliche Dinge, wie das Interesse für das Reisen oder Probleme mit der Arbeitslosigkeit. Um Mitternacht fahren die Drei nach Hause und wir sind allein auf der Insel, beobachten noch eine riesige Sternschnuppe und kuscheln uns dann ins Zelt, welches butterweich auf dem frisch gemähten Rasen steht.



Die drei von der Fischerhütte, "Simba", "Kollege" und Ivan

Die drei von der Fischerhütte, "Simba", "Kollege" und Ivan


Simba's Englisch-Wortschatz beschränkt sich auf: "United Colors of Benetton" und das Lied "Forever Young"

Simba's Englisch-Wortschatz beschränkt sich auf: "United Colors of Benetton" und das Lied "Forever Young"


Simba scheint sein selbstgebrannter Sliwowitz wohl nicht so gut zu bekommen.

Simba scheint sein selbstgebrannter Sliwowitz wohl nicht so gut zu bekommen.


Die Jungs fritieren die frisch gefangenen Fische mit Mehl und Paprikapulver.

Die Jungs fritieren die frisch gefangenen Fische mit Mehl und Paprikapulver.





Kapitel 12: Wir verlassen Ungarn
UNGARN

Erinnerungsfoto vor dem Wahrzeichen Budapests: Das Parlamentsgebäude

Erinnerungsfoto vor dem Wahrzeichen Budapests: Das Parlamentsgebäude

Verschiedene Welten

Wir brechen erst um vier Uhr in Budapest auf. Viel zu spät. Eigentlich müssten wir um diese Zeit schon längst auf Schlafplatzsuche sein. Wir fahren an einer nicht enden wollenden stark befahrenen Schnellstrasse entlang und ich ahne, dass wir unser Zelt heute höchstwahrscheinlich im Dunkeln aufbauen werden – falls wir überhaupt jemals aus dieser endlos erscheinenden Stadt heraus kommen. Mein Stresspegel steigt auf die höchste Stufe (Vielleicht lerne ich diese auch erst noch kennen. Im Moment fühlt es sich zumindest so an!) Sirenen ertönen und ein Polizist blockiert uns die Durchfahrt. Eine Kolonne von Motorrädern mit blau leuchtenden Sirenen taucht auf. Etliche schwarze Limousinen fahren an uns vorbei. Darin wichtig schauende Menschen mit Handy am Ohr, welches sie wohl noch wichtiger wirken lassen soll. In einigen Wagen sitzen nervös wirkende, ernst schauende Männer in schwarzen Anzügen mit kleinen Knöpfen im Ohr – wahrscheinlich die Bodyguards. Ich frage mich, wie so ein Leben ist. Wenn man keinen Schritt mehr alleine gehen kann. Ob Angela Merkel wohl noch U-Bahn fährt? Wahrscheinlich nicht. Ein Leben im goldenen Käfig. In diesem Moment fühle ich mich auf meinem bepackten Fahrrad und in den staubigen Klamotten unglaublich frei und habe das Gefühl, als gäbe es für uns keine Grenzen.







Die Dunkelheit von ihrer schönen Seite

Endlich wird es ländlicher. Unser Navigationsgerät zeigt an: Fünf Kilometer Niemandsland. Es wird auch Zeit. Die Sonne hat ihren tiefsten Punkt bereits erreicht und plumpst gerade rot und rund am Horizont herunter. „Da kommen gleich einige Seen!“, sagt Timm und ich male mir schon eine Idylle aus, mit der ich heute nicht mehr gerechnet hätte. Und tatsächlich entpuppt sich das Paradies nur als schlamiger Baggersee, um den viele undefinierbare industrielle Maschinen stehen und laute schrille Geräusche von sich geben. Willkommen in der Realität. Ein Feldweg ist unsere letzte Hoffnung. Leider ist es hier nämlich nicht so, wie in Deutschland, dass die Wälder und Felder von Wegen nur so durchzogen sind. In Ungarn sind solche Wege eine Seltenheit. Und wenn es Einen gibt, führt er entweder zu einem Haus oder wird als Müllhalde benutzt. Dieser scheint eher Letzterem zu dienen. Egal, ich möchte in der Dunkelheit nicht zwischen Lastwagen auf der Landstrasse weiterfahren. Wir kämpfen uns den immer sandiger werdenden Weg entlang, bis wir schließlich neben einem hügeligen Feld stehen – eine Motorcross Piste. Nachdem wir unser Zelt in einem angrenzenden Wäldchen aufgeschlagen haben, erklimmen wir den höchsten Hügel der Strecke, welche in der sternenklaren Nacht wie eine bizarre Mondlandschaft aussieht. So sitzen wir inmitten dieser absurd romantischen Kulisse und essen Kartoffelpampe mit Gemüse. Ein Essen, das sicherlich nicht zu den kulinarischen Highlights der Reise gehört, aber absolut seinen Zweck erfüllt – wir sind satt und schlafen tief und fest bis zum nächsten Morgen.



Die ungarischen Strassen: Entweder ruhig, kaum befahren und holprig...

Die ungarischen Strassen: Entweder ruhig, kaum befahren und holprig...


...oder Lastwagen nehmen sie für sich ein. Es ist ratsam ab und zu in den Strassengraben auszuweichen.

...oder Lastwagen nehmen sie für sich ein. Es ist ratsam ab und zu in den Strassengraben auszuweichen.

Es ist klein und piekst

Es ist ein schöner Morgen. Die Ruhe ist unglaublich entspannend und wir genießen das Frühstück auf der zur Picknick-Decke umfunktionierten Zeltplane. Ich schaue mein bepacktes Rad an und denke mir: „So langsam findet alles seinen Platz“. Doch nach genau einhundertundzwölf Metern liegen alle ordentlich gepackten Dinge wieder auf einem wilden Haufen. Mein erster Platten! Ein etwa ein Zentimeter großer kleiner fieser Stachel hat den Weg durch meinen Fahrradmantel gefunden und meinen Schlauch zerstochen. Wir setzen das theoretisch Gelernte in die Tat um und reparieren zum ersten Mal einen platten Reifen. Die Drahtesel werden erneut gesattelt und mit einstündiger Verspätung brechen wir zum zweiten Mal an diesem Tag auf. Raus aus dem vermüllten Feldweg, zurück auf die Strasse. Haben wir schon erwähnt, dass das Sichtfeld in der Dunkelheit sehr eingeschränkt ist? Unseres war gestern so eingeschränkt, dass wir den Badesee, der sich nun direkt vor unserer Nase befindet, anscheinend nicht entdecken konnten. Einladend schimmert das Wasser in der Sonne, riesige Wasserrutschen schlängeln sich in das kühle Nass und vor der bewaldeten Wiese hängt ein großes hölzernes Schild: Camping! Einziger Trost: Der Campingplatz hat noch nicht geöffnet und der Mann mit dem klapprigen Fahrrad am Eingang hätte uns dort bestimmt nicht schlafen lassen! Ganz sicher nicht.



Hoch konzentriert beugt der Mann über seiner Arbeit...

Hoch konzentriert beugt der Mann über seiner Arbeit...


...und hat keine Ahnung

...und hat keine Ahnung

Der Führer

Es sind unsere ersten Meter ohne unseren „Donauführer“, welcher uns seit Passau auf dem Weg begleitet hat und immer genau wusste, wo es langgeht. Ab jetzt heißt es anhand der Strassenkarten den Weg selbst zu finden. Ein kleines Büchlein, welches für den ein oder anderen Lacher sorgte: Kaum sind wir über die Grenze Deutschlands nach Österreich gefahren, fragen wir uns, wie man wohl als Deutscher im Ausland gesehen wird. Ordentlich? Spießig? Fleißig? Bierbauch und Lederhosen? Wird Deutschland immer noch mit “Hitler” assoziiert? So stehen wir einmal da und suchen nach der Abzweigung auf die andere Seite der Donau. Ein Pärchen kommt vorbei und erklärt uns hilfbereit den Weg. „Aber warum wollt ihr denn auf die andere Seite? Hier ist es doch viel schöner!“ Als Timm darauf sagt: „Weil´s der Führer so sagt!“ bruste ich innerlich los, doch die beiden Passanten verziehen keine Miene und erklären in Ruhe weiter. Dieses Klischee behauptet sich zum Glück nicht.



Alle Wege führen nach Peking?

Alle Wege führen nach Peking?

„Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt dennoch, wenn es dunkel ist.“

Wir erleben Ungarn in seiner geographisch flachesten Form. Weit und breit ist kein Wald in Sicht. Bei jeder noch so kleinen Baumgruppe ist ein Bauernhaus angesiedelt. Vielleicht auch andersherum. Fazit: Schlecht für uns unentdeckt zu Zelten! Endlich taucht ein kleines Waldstück auf. Allerdings ist es rundherum von einem rostigen Stacheldraht eingefasst. Na toll, wenn hier mal was wächst, wird es direkt eingezäunt! Vielleicht eine Art von Naturschutz? Es entpuppt sich als ehemaliges Militärgelände. Welch romantischer Platz zum Übernachten. In sich zerfallende Ruinen umringt von Dornenbüschen. Die Nadel meiner inneren Gefühlsskala bezüglich der Sicherheit eines Schlafplatzes steigt von Null gleich „Entspanntes Schlafen“ auf fünf gleich „Unruhiger Schlaf mit immer wieder auftretenden Wachphasen“. Aber die Sonne ist bereits verschwunden und Alternativen gibt es keine. Also gut. Zelt aufbauen. Essen kochen. Beziehungsweise übernimmt Timm diese Aufgaben. Ich verfalle – wie er es nennt – in meine typische „Angststarre“, die immer dann auftritt, wenn mir ein Schlafplatz nicht zusagt:

Laut Wikipedia bezeichnet man Angststarre als einen besonderen, durch Gefahren- oder Stresssituationen ausgelösten, Zustand bei Menschen oder Tieren. Das Stresshormon Adrenalin wird ausgeschüttet und erhöht den Herzschlag (konnte ich noch nicht feststellen…), womit die Muskulatur besser mit Sauerstoff versorgt wird, um den Körper auf einen Kampf oder eine Flucht vorzubereiten. Dabei werden eine Reihe nicht benötigter Organe und auch Teile des Gehirns in ihrer Funktion heruntergefahren (Ich antworte nur noch einsilbig auf Fragen. Timm: „Soll ich Nudeln kochen?“ Ich: „Egal“). Erfolgt aber keine Reaktion in Form von Kampf oder Flucht (Bisher erfolgte Diese noch nicht), so kann nach bis zu 15 Sekunden eine Angststarre eintreten, bei der das bedrohte Lebewesen (Ich) weder fliehen noch kämpfen kann. Es erstarrt sprichwörtlich vor Angst. Dabei sinkt der Herzschlag, die Muskeln versteifen sich und die Kontrolle über die Körperfunktionen lässt signifikant nach (Ich liege steif in meinem Schlafsack und lausche den Geräuschen). Die Angststarre wird dabei durch Nervenimpulse ausgelöst und soll in Gefahrensituationen das Überleben sichern (Ich lebe noch! Hat funktioniert!).
Vielleicht ist der Grund für die „Angststarre“ mit folgender Bewegungsunfähigkeit aber auch der übervolle Magen (wir haben zu zweit 500 Gramm Nudeln verputzt). So bleibt mir wohl oder übel nichts Anderes übrig, als meine unangenehme Umgebung zu verdrängen und ins Reich der Träume zu gleiten. Ein lautes mächtiges Bellen direkt neben meinem Kopf holt mich abrupt von dort zurück. Ich überdenke schlagartig die Belastbarkeit der Zeltplane. „WUAFF!“ Dieses Vieh muss drei Meter groß sein. Kurzer Lagebericht: Es ist stockdunkel. Wir haben zwei Uhr Nachts. Befinden uns auf einem alten hässlichen gruseligen Militärgelände und ein riesiger unheimlicher Hund steht direkt vor unserem kleinen Zelt aus Stoff! „WUAFF!“ „WUAFF!“ Nein, es sind zwei! Vielleicht sind es noch mehr? Wer da wohl noch ist? Wir sind umzingelt. „Timm, bist du wach?“





Timm: Plötzlich kläfft es direkt neben dem Zelt. Ich zucke zusammen. Bin sofort hellwach, kann mich vor Angst nicht Bewegen, und verharre so reglos im Schlafsack. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. Es ist schrecklich nicht zu sehen, was um einen herum passiert. Jetzt kläfft auch noch ein zweiter Hund. Mal links mal rechts vom Zelt. Wir flüstern leise miteinander: „Glaubst du da Draußen ist noch wer?“ „Weiss nicht“, antworte ich. Die Hunde hören einfach nicht auf zu bellen und klingen mit jedem Mal aggressiver. Ich greife zu Messer und Taschenlampe. Und versuche den Reißverschluss meines Schlafsacks möglichst leise zu öffnen. Dieser klingt aber noch viel lauter als sonst. Die Hunde scheint das aber ohnehin nicht zu stören. Vorsichtig schaue ich durch den Lüftungsschlitz und leuchte mit der Taschenlampe ins Dunkle. Verdammt, ich sehe nur die ersten paar Büsche. Alles dahinter wird von der Dunkelheit verschluckt. Ich robbe durchs Zelt auf die andere Seite. Lorena liegt nach wie vor regungslos im Schlafsack und lauscht. Mein Adrenalinpegel steigt. Das Hundebellen kommt jetzt direkt von Vorne. Mit pochendem Herz öffne ich den Lüftungsschlitz. Lorena flüstert noch: „Nicht, dass der dir ins Gesicht beisst.“ Danke für die Unterstützung! Ich leuchte nach draußen und aus der Finsternis funkeln mir vier angsteinflößende Augen entgegen. Scheisse sind die groß! Ich pfeife – warum auch immer. Und der Hund rennt aus dem Gebüsch direktnauf das Zelt zu. Reflexartig schliesse ich schnell wieder den Reißverschluss. Das Bellen ist verstummt. Moment! Hat der Hund nicht gerade mit dem Schwanz gewackelt? Ich wage erneut einen Blick. Der Hund sitzt vor dem Zelt und kratzt sich hinter den Ohren. So sieht er irgendwie gar nicht mehr so beängstigend aus. Und auch Lorena bewegt sich wieder und späht aus der Zeltöffnung.


Lorena: Aus dem Schwarz der Nacht wird ein grau und wir können die Hunde nun besser erkennen. Der Große hat sich in ein Gebüsch zum Schlafen gelegt und der etwas Kleinere steht Schwanz wedelnt direkt vor unserem Zelt. Ich fange fast an zu Lachen als Timm ihn erst mehrmals mit böser Stimme zu ruft: „Hau ab jetzt!“, welche aber nach einigen Malen eher resigniert klingt „Ach mann, jetzt hau doch endlich ab!“. Wir kommen zu der Erkenntnis: Sie wollen nicht uns fressen, sie wollen nur unser Essen! Erschöpft schlafen wir beide doch noch einmal für eine Stunde ein. Ich träume von den beiden Hunden. Im Traum freunden wir uns an und die Beiden begleiten uns als Wachhunde auf unserer Reise.


Timm: Das wackelnde Zelt lässt mich schlagartig aufschrecken. Ich höre Etwas wegrennen. Was war denn das? Ein Angriffsveruch? Meine Blase drückt, außerdem sollten wir langsam mal aufstehen. Vor dem Zelt sehe ich, den Grund für den „Angriff“: Die Hunde haben sich wohl gerade über die gestrigen Essensreste hergemacht. Aus sicherer Entfernung schleichen sie um unser Zelt. Unsere Teller sind jetzt auf jeden Fall „sauber“!


Völlig übermüdet starten wir um halb sechs in den Tag. Fazit: Jede dunkle Nacht hat ein helles Ende.



Der Alptraum unserer schlaflosen Nacht

Der Alptraum unserer schlaflosen Nacht

Die Nacht danach

Die Nacht mit den Hunden steckt uns immer noch in den Knochen. Erleichtert treffen wir am Abend wieder auf die Donau. Lorena ist immer etwas entspannter, wenn wir unser Zelt direkt neben dem Wasser aufschlagen. Ob es das beruhigende Plätschern der kleinen Wellen an das steinige Ufer ist oder einfach die Gewissheit, dass der „Feind“ sich nur von einer Seite nähern kann. Wirklich tief schlafe ich trotzdem nicht. „Traumatisiert“ vom Vorabend schrecke ich auch diese Nacht wieder panisch auf. Ich habe etwas gehört. Ganz sicher. Durch das trockene Laub des vergangenen Herbstes haben sich Schritte genähert. Aber ich habe keine Lust auf ein ähnlich langes Bangen in Ungewissheit wie in der Nacht zuvor, greife entschlossen zu allen „Waffen“, die ich in der Dunkelheit um mich herum finden kann und ehe ich mich versehe, stehe ich barfüssig und in Boxershorts vor dem Zelt. In der linken Hand eine Art Sirene, in der Rechten das Pfefferspray, auf dem Kopf die Stirnlampe und im Mund das Messer. Nichts zu sehen. Einen Moment verharre ich noch, bis mir unweigerlich klar wird, was für ein absolut dämliches Bild ich in diesem Moment abgebe. Ob die Nervosität in den kommenden Nächten wieder nachlässt?


Ein Paradies an der Donau. Aufgrund von Regenmangel liegt die Auenlandschaft im Trockenen.

Ein Paradies an der Donau. Aufgrund von Regenmangel liegt die Auenlandschaft im Trockenen.


Abendlicher Abwasch

Abendlicher Abwasch


Müde am Morgen

Müde am Morgen



Dusche mit Donauwasser. Kälter als gedacht.

Dusche mit Donauwasser. Kälter als gedacht.