Kapitel 6: Der Tag der guten Taten
REGENSBURG

Danke Herr Lex für die etwas andere Stadtführung! Und die leckeren Nürnbe...äh...Regensburger.

Danke Herr Lex für die etwas andere Stadtführung! Und die leckeren Nürnbe...äh...Regensburger.

Der Tag der guten Taten

Regensburg, 01.März 2012

Wir kommen in Regensburg an. Die Meisten besichtigen diese Stadt wohl mit kulturellen Absichten. Unser Ziel ist jedoch ein Anderes: Wir wollen einen Döner! Auf unserer Suche nach Essbarem kommen wir wie es der Zufall will jedoch am Regensburger Dom vorbei und werfen doch einen kurzen Blick in die tiefgotischen, dunklen und spürbar eisigen aber auch absolut imposant wirkenden Gemäuer. Die Stille wird einzig durch das Kamera Blitzen einer Touristin unterbrochen. Als wir durch die schwere hölzerne Tür wieder heraus auf den Domplatz treten, ist mir als wäre der Frühling ausgebrochen. Unser Dönerjagdinstinkt leitet uns schließlich zielstrebig in eine kleinere Gasse. Kurz vor dem Ziel bekommen wir uns mal wieder in die Haare. Schließlich geht Timm in den syrischen Imbiss, ich rufe im zickig hinterher „Bring mir halt irgendwas mit, mir doch egal!“ und warte bei den Rädern. Glücklicherweise bleiben einige Passanten stehen und befragen mich zu den Rädern, woher wir kommen und unserem Reiseziel. Auch wenn wir all diese Fragen schon an die paar Dutzend mal beantwortet haben, zaubert es immer wieder ein Lächeln in unser Gesicht und wir freuen uns, das unsere Reiseart und unser Vorhaben auf Begeisterung und Interesse stößt. Es ist so, wie wir es uns gewünscht haben: Man kommt mit den Leuten in Kontakt. So auch mit dem Herrn, der mich schon eine Weile beobachtet hatte. „Sie werden sicherlich oft angesprochen?“ Als Timm mit dem Essen herauskommt, bin ich mit dem Mann mitten im Gespräch und habe keine Gelegenheit mehr, weiter auf ihn sauer zu sein. „Und wie lange bleiben Sie noch in Regensburg?“ Als wir ihm kauend erklären, dass wir eigentlich gleich weiter fahren wollen, ist er völlig entsetzt: „Regensburg ist so eine tolle Stadt, die muss man sich ansehen!“ Mit diesen Worten bietet er sich an uns eine kleine Stadtführung zu geben. Irgendwie skeptisch, überrascht und perplex von dem Angebot sagen wir: „Warum nicht“, und folgen ihm. Während uns unsere Besichtigung durch Regensburg´s Kirchen führt, durch verwinkelte Hinterhöfe und Gassen, auf ein Kaufhofdach mit Blick über die gesamte Stadt und schließlich zur berühmten Steinernen Brücke, sind wir uns immer noch unsicher, was wir davon halten sollen. „So und nun lade ich euch auf zwei Regenburger Rostbratwürste ein!“, sagt er als wir vor der ältesten Imbissbude Deutschlands stehen und verschwindet darin. Während wir unsere heißen Würstchen genießen, erzählt uns Herr Lex, dass er erst vor ein paar Tagen einen Vortrag von einem Paar besucht hat, welches auch mit dem Fahrrad um die Welt gereist ist. Und auch er selbst ist gerne mit dem Rad unterwegs. „Es sind nicht unbedingt die Städte und besuchten Orte, die in Erinnerung bleiben, sondern vielmehr die Begegnungen, die man hat.“ Wir verabschieden uns und bedanken uns – auch auf diesem Wege noch mal herzlich – für die besondere Art Regensburg zu entdecken und fahren über die steinerne Brücke weiter Richtung China… bzw. erst mal Richtung Straubing.


Stadtführung mit Herrn Lex

Stadtführung mit Herrn Lex

 

Regensburger Rostbratwürstchen

Regensburger Rostbratwürstchen

Als wir so dahinfahren, und noch darüber nachdenken, wie bereichernd es ist, solche selbstlosen und freundlichen Menschen zu treffen, und das man nun irgendwie verändert aus der Begegnung geht, fahren wir halb in Gedanken versunken an einem steckengebliebenen Auto vorbei. Der Fahrer gibt nicht auf. Die Räder graben sich immer tiefer in das Erdreich. Anhalten? Helfen? Weiterfahren? Motiviert aus der voherigen Begegnung entschließen wir uns für: Anhalten! Aus dem Wagen springt ein Bayer und ist sichtlich erfreut über unsere Hilfe: „Das gloab i jetzt nit! Das ist ja suboaa, dass ihr mia hoilft!“ (kein original akzentechter Wortlaut!) „Koan i euch noch auf ein Bier einloaden? Die Kneipe ist direkt um die Ecke!“ Wir blicken auf die Uhr. Durch die Stadtführung sind wir sowieso schon etwas später dran als geplant. Es sind die Begegnungen die zählen!


Ein Bier und ein Schnaps

Ein Bier und ein Schnaps

Nach einem großen Radler wollen wir eigentlich los. Immer wieder sagt er auf bayrisch, dass er es nicht fassen kann, dass es so nette Menschen gibt. Und kaum haben wir das Glas leer, würde er uns am liebsten noch ein Fass nachschenken. Wir einigen uns auf einen Obslter und verabschieden uns. Es ist mittlerweile halb fünf und nach Straubing noch dreißig Kilometer. Bei Nacht und Nebel erreichen wir um halb acht die Jugendherberge. Wir sind stolz auf die Leistung, aber auch fix und fertig vom zweistündigen Herumirren bei Dunkelheit und feuchtem nassen Nebelwetter.


Ordnung muss sein

Es ist eine Jugendherberge ganz im Sinne des ordentlichen Deutschen. Wohin man schaut begegnen uns fein säuberlich laminierte Hinweiszettel – rot, gelb, und blau – wie man sich ordnungsgemäß zu verhalten hat: „Nachtruhe ab 22.00 Uhr. Die Zimmer werden vor der Abreise kontrolliert. Keine Gegenstände aus den Fenstern werfen. Das Bad darf nicht mit Strassenschuhen betreten werden. Strenges Rauch- und Alkoholverbot“. Ja, ich fühle mich wieder ein wenig wie auf Klassenfahrt in der vierten Klasse!


Kapitel 5: Fluss abwärts
INGOLSTADT

Auch wenns genüsslich aussieht. Das morgens teilweise sogar gefrorene Wasser schluckt man nur wieder Willen.

Auch wenns genüsslich aussieht. Das morgens teilweise sogar gefrorene Wasser schluckt man nur wieder Willen.


Der Sonne entgegen. Bis nach China.

Der Sonne entgegen. Bis nach China.

„Ich dachte, die Donau fließt bergab“

Neuburg, 27./28. Februar 2012

Wie haben wir uns gefreut, als wir nach einer kräftezerrenden Berg- und Talfahrt entlang der Altmühl endlich Neuburg an der Donau erreicht haben! Ein kleines Etappenziel auf unserer Reise. Der Fluss, welcher uns nun fast dreitausend Kilometer bis zum schwarzen Meer begleiten wird. Und es geht flußabwärts! Klingt erst mal super oder? Doch was uns erwartet, sieht anders aus, als in unseren Vorstellungen. Wir haben Februar. Wege, die im Sommer wahrscheinlich herrlich zu fahren sind, entpuppen sich als matschige Pisten. Unsere beladenen Räder graben sich immer tiefer in die Furchen und wir kommen nur im Schneckentempo voran. Am schlimmsten ist die Strecke zwischen Ingolstadt und Neustadt. Zeitweise fahren wir auf einem alten Bahndamm. Links und rechts von uns liegt Militärgelände und überall mahnen Schilder: „Den Damm nicht verlassen. Militärübungsgelände. Lebensgefahr!“ Ok, mit dem pinkeln warten wir dann noch einen Augenblick. Es fängt an dunkel zu werden. Doch zu beiden Seiten des Donaudammes, befinden sich feuchte bis sumpfige Wiesen und Wäldchen. Kein geeigneter Platz, um ein Zelt aufzuschlagen. Wir sind erschöpft. Die Beine brennen. Wir haben Hunger. Um uns herum inzwischen totale Dunkelheit. Timm läuft ein Stück in ein Wäldchen hinein.


Timm: Man merkt Lorena an, dass sie ungern wild zelten möchte. Genauso wenig, wie ich bei einem Bauern nach einem Zeltplatz nachfrage. Und so fahren wir immer weiter gen Dunkelheit, ohne einen passenden Schlafplatz für uns Beide zu finden. Inzwischen ist es stockdunkel und wir leuchten uns den Weg durch ein Naturschutzgebiet mit FahrradLampe und Stirnleuchte. „Da, ein Weg!“ Lorena deutet in die Dunkelheit. Das soll wohl heißen, dass ich mal nachschauen soll, ob man da campen kann. Also laufe ich in den kleinen Feldweg hinein. Am Ende des Weges kann ich zwei dunkle Schatten erkennen. Bilde ich mir das nur ein? Sind das Rehe oder Wildschweine oder Etwas ganz anderes? Ich renne darauf zu und hoffe, dass sie die Flucht ergreifen. Aber sie bewegen sich nicht. Puh! Doch nur Bäume. Langsam komme ich mit meiner Stirnlampe in Reichweite der Schatten und plötzlich bekommen sie leuchtende Augen. Was es nicht nötig hat weg zu laufen, scheint nicht am unteren Ende der Nahrungskette zu sein, denke ich und ziehe mich langsam zurück. Zu Lorena meine ich kurz, dass es ein nicht so günstiger Platz zum Zelten ist! Wir fahren weiter.


Lorena: Vielleicht doch noch ein Stück weiter. Doch dann befinden wir uns plötzlich wieder auf der Schnellstraße. „Ich will doch einfach nur schlafen!“, denke ich, „hier muss es doch irgendwo einen Platz geben, wo man dieses blöde kleine Zelt aufschlagen kann!“ Den gibt es. Vor uns taucht ein blaues Schild mit einem weißen Zelt darauf auf: Campingplatz in 500 Metern. Als wir im Stockdunkeln mit unseren komplett vermatschten Rädern auf den Hof fahren und fragen, ob wir dort Zelten können, lacht der Besitzer und sagt: „Ihr seid meine ersten Gäste 2012“.



Wir nehmens mit Humor

Wir nehmens mit Humor


Die Schlammschlacht von Ingolstadt

Die Schlammschlacht von Ingolstadt


Der feinkörnige Schlamm setzt sich in alle Poren

Der feinkörnige Schlamm setzt sich in alle Poren

Der Berg von Kelheim

Wir sind es satt, uns durch den Schlamm zu kämpfen. Wo es geht, wählen wir die Straße anstatt des Donauradweges. So auch in Kelheim. Ein Hinweisschild mit Höhenprofil zeigt den Radfahrern auf: „Achtung! Steigung von über 100 Höhenmetern zu bewältigen. Alternative: Fähre.“ Naja, wir werden noch öfter mit solchen Steigungen zu kämpfen haben. Wenn nicht, schieben wir eben ein Stück. Also machen wir uns auf den Weg und bereuen es sehr schnell: Matschige Waldwege, die stetig Berg auf führen…



Beim Kelheimer Berg versagen uns die ohnehin schon geschwächten Oberschenkel. Wir müssen schieben.

Beim Kelheimer Berg versagen uns die ohnehin schon geschwächten Oberschenkel. Wir müssen schieben.


Auf verlassenen Fluren

Auf verlassenen Fluren

Kapitel 4: Vor- und Nachteile des Winters
ALTMÜHLTAL

Nach einem kurzen Regenschauer

Nach einem kurzen Regenschauer

Die Vor- und Nachteile des Winters

Fangen wir mit den Nachteilen an, denn diese sind schnell aufgezählt: Man friert. Man friert, wenn man kurz anhält, um etwas zu essen. Man friert, wenn man morgens aus dem Schlafsack kriecht. Wenn man im Fluss die Teller abwäscht. Wenn man sich umzieht. Man friert einfach.
Die Vorteile dagegen sind vielseitiger: Man braucht sich keine Gedanken zu machen, dass die Zimmer in den Pensionen oder Campingplätze ausgebucht sind. Es herrscht gähnende Leere bzw. erholsame Ruhe. Verlockende Angebote wie „Restaurant Donaublick in 100m rechts“ entlang der Radwege werden hinfällig, da die Lokalitäten allesamt geschlossen haben. Beziehungsweise hält sich die Lust auf ein kühles Radler im schattigen Biergarten eher in Grenzen. Viel mehr wünschen wir uns: „Heißen Glühwein am warmen Kaminofen!“ Im Sommer wurde uns erzählt, sei der Donauradweg die reinste Fahrradautobahn. Radler wohin das Auge reicht. Wir erschrecken eher, wenn mal ein Radfahrer an uns vorbei fährt. Uns wird ein zügiges Weiterfahren ohne längere Stopps an den herrlichen Stränden der Flüsse erleichtert, da die Ufer eingefroren sind. Doch wir freuen wir uns auch, wenn der Frühling endlich Einzug hält. So dass man abends bei milden Temperaturen auch noch mal eine Weile vor dem Zelt sitzen kann, ohne Frostbeulen an den Füßen zu bekommen. Die Zugvögel lassen sich zumindest schon hier und da entlang des Weges blicken.


Badespass am Strand

Badespass am Strand

 

Baden...Nicht!

Baden...Nicht!

 

Am Altmühlsee

Am Altmühlsee

 

Eislaufen

Eislaufen

 

Badesee

Badesee

 

Die Wildgänse machen Mittagspause

Die Wildgänse machen Mittagspause

 

Camping an der Donau

Camping an der Donau

Auf den Spuren des Bibers

Meine anstrengensten Tage der Reise: Timm entdeckt einen Baumstamm, welcher merkwürdig angenagt ist. „Ich glaube hier gibt es Biber!“ Ab diesem Zeitpunkt diskutieren wir stundenlang, ob es nun entlang der Altmühl Biber gibt oder nicht. Die wildesten Theorien werden aufgestellt: Es könnte ein Förster sein, der eine spezielle Methode hat, Bäume zu fällen. Timm kommt von hinten angefahren und ruft: „Hey, da war ein Schild auf dem steht, dass es hier Biber gibt!“ Er weiß genau, dass ich zu müde bin, um zurück zu fahren. Um der Diskussion ein Ende zu setzen, sprechen wir einen alten Mann an. „Na klar gibt es hier Biber! Sogar einige. Die sind richtig groß.“ Von da an, diskutieren wir nicht mehr, ob es Biber gibt. Wir machen uns auf die Suche nach Ihnen.


Timm der Biber

Timm der Biber

 

Lorena auf Bibersuche

Lorena auf Bibersuche

 

DER BEWEIS! :) Im Jahre 2008 wurde der Biber-Bestand in Österreich auf etwa 3000 geschätzt. Vorkommen an der Donau besonders an Staustufen, grenzübergreifend auch in Bayern und Slowenien. (Danke David für die Info)

DER BEWEIS! :) Im Jahre 2008 wurde der Biber-Bestand in Österreich auf etwa 3000 geschätzt. Vorkommen an der Donau besonders an Staustufen, grenzübergreifend auch in Bayern und Slowenien. (Danke David für die Info)

Kapitel 3: Aller Anfang ist schwer
ROTHENBURG O.D.T.

Erste Nacht, bei -3°C. Das Wasser in den Flaschen ist schon gefroren

Erste Nacht, bei -3°C. Das Wasser in den Flaschen ist schon gefroren

Aller Anfang ist schwer

Ich schlage die Augen auf. Wo bin ich? Mit erwachendem Bewusstsein stelle ich fest, dass ich eingemümmelt in meinem Schlafsack in einem Zelt liege. Schlagartig bin ich in der Realität angekommen. Ich habe mich gestern für ein Jahr von Allem verabschiedet, was mir wichtig ist! Meine Familie, mein Pferd, mein gesamtes routiniertes Leben. Und jetzt liege ich bei Minusgraden auf hartem, kalten Boden in einem Zelt! Der erste Moment, in dem ich ernsthaft daran zweifle, ob das, was wir machen wirklich auch Das ist, was wir wollen. Aber seit langem auch der erste Moment, in dem ich die Zeit finde überhaupt darüber Nachzudenken.


Doch als ich den Reißverschluss aufziehe und auf die in Raureif gehüllte Landschaft schaue, ändert sich meine Gefühlslage schnell wieder. Dieses Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Dieses einmalige Licht. Die morgendliche Ruhe. Und uns erwarten so viele von diesen tollen Momenten, in denen man einfach nur da steht und staunt, wie schön die Natur ist.



Hier wird nochmal umgepackt. Zum Glück scheint die Sonne. Das wärmt wenigstens ein bisschen.

Hier wird nochmal umgepackt. Zum Glück scheint die Sonne. Das wärmt wenigstens ein bisschen.

Ich packe meinen Koffer

Das Packen dauert an diesem Morgen beinahe drei Stunden. Die in Eile gepackten Sachen müssen nun erst ihren richtigen Platz finden. Nur ein paar Wenige, der vorbei kommenden Frühsportler entdecken unseren nächtlichen Lagerplatz . Als es endlich los geht, haben Jens und Erik schon Frostbeulen an den Füßen. Dafür schmerzt uns der Hintern, als wir uns wieder in den Sattel schwingen. Schnell kommen wir nicht voran. Immer wieder müssen Kleinigkeiten korrigiert werden. Mal ist es ein Riehmen der Packtaschen, der ein beunruhigendes Geräusch durch das Schleifen in den Speichen verursacht, mal einfach nur die Kleidung, welche wir an und aus ziehen. Denn das Freihändig fahren ist völlig unmöglich!


Es ist Rosenmontag. Für uns bietet sich entlang der gesamten Main-Strecke ein unterhaltsames, kunterbuntes Bild: Von überall her strömen die Jecken, um sich zu Faschingszügen zu versammeln. Doch man macht uns bereitwillig den Weg frei…



Faschings-Laola bei Seligenstadt

Faschings-Laola bei Seligenstadt

Der Main-Radweg

Der Main-Radweg ist ein Paradies für uns Radreise-Amateure. Auf ebener Strecke geht es auf asphaltierten und perfekt ausgeschilderten Wegen immer entlang des Flussbettes. Wenn zwischendurch dann doch einmal ein geschottertes Stück kommt, wird mir deutlichst bewusst, welches Gewicht unsere Räder mitsamt Gepäck auf die Waage bringen. Ich schaue auf die kleine topografische Weltkarte vor mir, blicke auf die imposanten Gebirgszüge, welche uns noch erwarten und beginne innerlich laut zu Lachen. In solchen Momenten scheint unser Ziel China unerreichbar. Doch mein KM-Zähler zählt fleißig weiter: 67km. „Hah! Jetzt sind es nur noch 17.933 km“, denke ich und trete weiter in die Pedale.





Zeit für eine Pause.

Ich habe während unserer Vorbereitungen ein mal gelesen, dass ein Radfahrer bei diesen winterlichen Temperaturen bei kontinuierlichem Fahren bis zu 9000 Kalorien verbraucht. Als wir dann an dem Schild „Grillsteak mit Pommes und Salat für 5,80 €“ vorbei fahren, ist die Überlegung anzuhalten nicht von langer Dauer. Zu uns gesellen sich Timm‘s Mama und Katrin, die im Anschluss Jens und Erik mit nach Hause nehmen.



Selbstportrait vor einer alten Scheune.

Selbstportrait vor einer alten Scheune.

Da waren‘s nur noch zwei

Jetzt sind wir zu zweit. Bei freundlichem Winter Wetter setzen wir unsere Reise fort Richtung Aschaffenburg. Das Nizza Bayerns empfängt uns mit jeder Menge Sonne und einem beeindruckenden Stadtbild. Während wir uns davor für ein Selbstporträt positionieren, werden wir immer wieder von vorbei schlendernden Spaziergängern – meist Senioren – gefragt, wo wir denn herkommen, ob es bei dem Wetter nicht zu kalt ist zum Fahrrad fahren und wohin die Reise denn geht? „Nach China.“ „Aah… China. – Ääh wie bitte? China?“ Wir geben zu, das Ziel allein klingt schon etwas absurd. Und da wir gerade ein mal knappe hundert Kilometer der Strecke zurückgelegt haben, werden die meisten sich im Nachhinein denken: „Jaja, lass die mal fahren…“.


Schlafplatzsuche

Es ist fünf Uhr. Zeit sich nach einem geeigneten „Zeltplatz“ umzusehen. In der Nähe etwas außerhalb des Ortes am Radweg gelegen, entdecken wir eine Radlertankstelle: „Reperaturen für Radfahrer“ Hier scheint ein Fahrrad-Freundlicher Mensch zu wohnen. Vielleicht dürfen wir auf der Wiese vor dem Haus unser Zelt aufschlagen. Wir dürfen! Fred und seine Frau laden uns sogar noch zum Abendessen ein. Bei leckerem Chili wärmen wir schnell auf und kriechen danach gestärkt und mit vollen Bäuchen in unser Zelt. Wir bedanken uns für die nette Versorgung und empfehlen jedem, der bezüglich seines Fahrrads Hilfe braucht bei der Tankstelle zu halten. Allein wegen der tollen Ketten Kunstwerke rund um das Haus, lohnt es sich mal vorbei zu schauen!



Kreative Kettenkunst von Fred, dem Besitzer der Radler Tankstelle.

Kreative Kettenkunst von Fred, dem Besitzer der Radler Tankstelle.

Die weiteren Nächte

Die Nacht von Dienstag auf Mittwoch ist für mich nicht wirklich entspannend. Wir kampieren unterhalb einer Landstraße. Darunter eine regionale Bahnlinie. Darunter unser Zelt neben dem Main-Radweg. Und rechts von uns der Main, mit stündlichem Frachtschiffverkehr. Das Alles ist in Anbetracht dessen, dass wir vor Müdigkeit ziemlich fest und schnell schlafen absolut zu verkraften. Als mich dann aber ein Motorroller, welcher in der Dunkelheit auf dem Radweg unmittelbar an unserem Zelt vorbei fährt, aus den Träumen holt, bin ich hellwach. Und schon wenige Minuten später. Wieder das Geräusch des Rollers. Diesmal fährt er in die andere Richtung. Eine jugendliche, alkoholisiert klingende Stimme gröhlt: „Haaallo! Haaaaalllo!“ Na toll. Ich habe nicht direkt Angst, bin aber dennoch beunruhigt, dass die Jugendlichen sich eine Mutprobe ausdenken: „Wer traut sich im Dunkeln zu dem unheimlichen Zelt am Main?“ Ab jetzt höre ich jedes Geräusch: Die heraneilende Bahn. Einen dicken Ast, der gegen das Ufer kracht. Stimmen, die auf der anderen Seite des Ufers diskutieren. Da! Da ist es doch wieder. Der Motoroller. Ganz in der Ferne. Soll ich Timm wecken? „Schatz?“ Das Geräusch wird lauter. „TIMM!“ Timm schießt zu Tode erschrocken hoch! „Was ist denn los?“ Doch das Geräusch ist nicht mehr da. Nachdem wir einige Momente wach liegen, schlafe auch ich endlich wieder ein.



Teller spühlen an der Tauber. Hier siehts im Sommer bestimmt schön aus!

Teller spühlen an der Tauber. Hier siehts im Sommer bestimmt schön aus!

Die Fahrt nach Rothenburg

In Wertheim müssen wir uns entscheiden, ob wir dem Main weiter folgen oder den romantischen Tauber-Radweg wählen. Wir entscheiden uns für die romantische Route. Doch ich verfluche diese Entscheidung recht schnell wieder. Der Weg ist zwar asphaltiert, schlängelt sich aber nicht so wie sein Kollege vom Main brav am Ufer entlang, sondern folgt der Tauber in einem ständigen Hoch und Runter. Das erste Mal, dass meine Beine wirklich brennen und ich mir selbst bei diesen winterlichen Temperaturen denke, wie toll es wäre sich in das kühlende Flussbett zu legen. Doch wie war das gleich? Man wächst mit seinen Herausforderungen! Irgendwann gewöhnen wir uns an die Berg und Tal Fahrt und sehen es als willkommenes Training, für Alles was noch kommt. Wir genießen die herrliche Landschaft entlang des Flusses und fühlen uns um Jahrhunderte zurückversetzt. Alte Bauerndörfer, rustikale Scheunen, Holzbrücken und vermooste Mäuerchen entlang des Weges. Wenn wir durch ein Dorf fahren, zieht ab und zu eine Oma die bestickte Gardine zur Seite um uns und die beladenen Räder zu beobachten.

Nach fast siebzig Kilometern an diesem Tag folgt nun der krönende Abschluss! Und das in jeder Hinsicht! Sportlich – denn man muss hier noch einmal erwähnen, dass wir nahezu untrainiert sind – wie auch visuell. Als wir um die letzte Kurve biegen, erblicken wir hoch über uns unser heutiges Tagesziel: Die Stadt Rothenburg ob der Tauber (ich wusste gleich, dass dieses „ob der Tauber“ für meine Muskeln nichts Gutes heißt!) Hinter einer beeindruckenden Stadtmauer drängen sich mittelalterliche Häuser und Türme. Wir halten an und lassen dieses Bild auf uns wirken und sammeln Kräfte für den kommenden Anstieg. Ich wünsche mir, wir könnten mit Pferden durch das mächtige Eingangstor reiten, aber mit letzter Energie schieben wir schließlich auch unsere Räder hindurch. Wenn auch etwas weniger majestätich als zu Pferde. Wie wir schnell feststellen ist Rothenburg in asiatischer Hand! Um uns die Stadt in Ruhe anschauen zu können und uns schon mal an die fernöstliche Kultur zu gewöhnen, beschliessen wir hier zwei Nächte zu bleiben.



Blick von Rothenburg ins mittelalterliche Taubertal.

Blick von Rothenburg ins mittelalterliche Taubertal.


Über den Dächern von Rothdenburg ob der Tauber.

Über den Dächern von Rothdenburg ob der Tauber.

Kapitel 2: Auf Wiedersehen
KELKHEIM

Startlinie

Auf Wiedersehen

Nach nur zwei Stunden Schlaf wache ich auf und bin dennoch hellwach. Es ist so weit. Abfahrt Richtung China. In diesem Moment kommt es mir völlig absurd vor. Während ich zum „letzten Mal“ unter der heißen Dusche stehe schießen mir tausend Dinge durch den Kopf. Ich kann kaum noch klar denken, mich nicht darauf konzentrieren, was ich heute morgen noch Alles erledigen wollte. In mir macht sich eine Gefühlsmischung aus Angst, Aufregung, Freude, Panik und Resignation breit. Was haben wir uns da nur vorgenommen? Von draußen trötet Onkel Axel: „Zeeeeehn Uuuuuuhrrr!!!! Los geht‘s!!!“ Während wir hektisch durch das Haus flitzen, letzte Dinge ohne Ordnung und System in die Packtaschen stecken, werfe ich einen flüchtigen Blick aus dem Wohnzimmerfenster. Draußen hat sich eine Menschentraube aus Eltern, Verwandten, Freunden und Nachbarn gebildet. Meine Güte und das Alles wegen uns! Ich gehe ein letztes Mal unsere endlos erscheinende Packliste in meinem Kopf durch, werde aber ständig aus meinen Gedanken gerissen. „Können wir noch etwas helfen?“ „Könnt ihr euch kurz hier hin stellen für ein Foto?“ „Kind, hast du schon was gegessen?“ Schließlich gebe ich auf.


Unsere Fahrräder stehen schon draußen in der Menge. Timm und ich schauen uns noch ein mal an, grinsen, holen tief Luft und schreiten mit unseren Fahrradhelmen unter dem Arm spaßeshalber wie in dem Hollywood Streifen „Armageddon“ in Zeitlupentempo hinaus. Einlauf in die Arena!


Einzug in die Arena

 

Gruppenfoto mit WE ARE T-shirts

Gruppenfoto mit WE ARE T-shirts

Weinen oder Lachen?

Als plötzlich alle ihre Jacken öffnen und rund um uns herum weiße mit „WE ARE“-Logo bedruckte T-Shirts aufblitzen, fällt die Entscheidung binnen Sekunden: Weinen und Lachen! Tagelang habe ich mir Gedanken über den Moment des „Auf Wiedersehen Sagens“ gemacht. Jetzt geht alles ganz schnell. Jeder wird noch ein mal fest gedrückt. Am liebsten würde ich alle hundert mal umarmen, doch der Fotograf wartet. Da steht es vor mir: Mein Fahrrad, welches mich die nächsten 300 Tage begleiten wird. Ein Gigant mit 70 kg. Die ersten Meter läuft Torsten neben mir her, um mich zu stützen sollte ich ins Wanken geraten. Aber es funktioniert. Freie Fahrt voraus. Und schon sind wir losgefahren.


Losfahren

Losfahren

Die Anspannung lässt nach!

Mit jedem Meter funktioniert das Fahren auf dem schwer beladenen Rad besser. Das Zittern der Arme und Beine lässt nach. Doch wirklich manövriersicher sind wir noch nicht. Jede Kurve, jede Bodenveränderung gestaltet sich als Herausforderung. Doch wir haben ja bis China Zeit zum Üben! Es ist ein schönes Gefühl die ersten Meter noch nicht „allein“ fahren zu müssen. Der Tross aus Eltern, Geschwistern und Verwandten begleitet uns noch ein Stück. Doch nach und nach wird auch Dieser immer kleiner: Timms Großeltern und Tante Gitta lassen wir nach einer Suppenstärkung in Sindlingen zurück, einen Großteil der Familie in Frankfurt am Main bei tosendem und irgendwie in diesem Moment ironischen Karnevals-Tumult, meine Eltern am Ortseingang von Offenbach, bis schließlich nur noch Timm‘s Brüder Erik und Jens bei uns sind. Unsere mentale Stärkung für die erste Nacht im Zelt.


Sindlinger Brücke

Sindlinger Brücke

 

Auf Wiedersehen

Auf Wiedersehen

Beeindruckende Industrie-Romantik

Unser Lager schlagen wir direkt am Main hinter einer dicht bewachsenen Böschung auf. Vor der Kulisse eines mächtigen Kraftwerks. Der Pizzalieferant wundert sich sicher auch, als wir ihn im Dunkeln auf zwei Fahrrädern empfangen und mit der dampfenden Pizza in der Dunkelheit verschwinden. Schnell kriechen wir an diesem Abend in unsere Schlafsäcke. Die Kälte schleicht sich von allen Seiten an und wir sind müde von den kurzen Nächten der letzten Tage. Als wir auf die Uhr schauen, stellen wir fest, dass gerade erst das Abendprogramm im Fernsehen beginnt.


Industrie Romantik

Industrie Romantik

 

Die Reste eines Faschings-Umzuges. Wir nehmen sie dankend an. Käsewurst und belegte Brötchen.

Die Reste eines Faschings-Umzuges. Wir nehmen sie dankend an. Käsewurst und belegte Brötchen.

Pizza schlemmen bei -2°C

Pizza schlemmen bei -2°C