Die zwei Zwerge und die 7000er Berge
Kirgisistan war bisher das landschaftliche Highlight. Dass es noch schöner werden würde, hatten wir kaum geglaubt. Doch auf unserer letzten Etappe, bevor wir nach unserer 7-monatigen Reise endlich China erreichen, erwarten uns am Irkeshtam-Pass gigantische, über 7000 Meter hohe Berge. Und wir bekommen einen kleinen Vorgeschmack darauf, welche Temperaturen und Schneemengen uns im Winter erwarten könnten.
Vom Ferghana-Valley zurück in die Berge
Wir haben beschlossen Osh, die zweite größte Stadt Kirgisistans, zu umgehen und eine weniger befahrene Route zu wählen. Bei beiden Routen erwarten uns in etwa gleichhohe Pässe, da kommt man in diesem Land einfach nicht herum! Doch wir hoffen, dass die Landschaft abseits der Hauptstrasse mehr bereit hält als in dem eher dicht besiedelten Ferghana-Valley.
Auf unserer Karte sah die Strecke recht unbevölkert aus. Und auch die Stadt Kara-Kulja war als kleiner Punkt angegeben: Überraschende Realität
Dennoch finden wir ein ruhiges Plätzchen für unser Zelt
Und man glaubt es kaum: Internetverbindung!
Auf diese riesige Spinne haben wir aus Versehen unser Zelt gestellt. Etwas erleichtert sind wir allerdings, dass zumindest dieses Exemplar uns nicht mehr gefährlich werden kann.
Unser stiller Beobachter: Ein Hirtenjunge
Nicht immer begegnen uns die Kirgisen so freundlich wie diese Gruppe Männer. Besonders wenn Alkohol im Spiel ist, kann es auch mal ungemütlich werden...
Rangelei
Timm: Nach Georgien scheint Kirgisistan das Land mit den meisten Betrunkenen. Immer wieder werden wir Zeuge von hitzigen Diskussionen und Rangeleien unter alkoholisierten Kirgisen:
Wieder einmal schieben Lorena und ich die Räder eine steilen Weg durch ein verschlafenes Bergdorf hinauf. Zwei betrunkene ältere Männer kreuzen unseren Weg, nehmen mir das Fahrrad aus der Hand und schieben es für mich den Hang hinauf. Ich bin dankbar und belustigt. Aber auch etwas besorgt um das beladene Rad, denn die beiden Männer können sich kaum auf den eigenen Beinen halten. Oben angekommen habe ich Mühe das Fahrrad wieder an mich zu nehmen, denn einer der Beiden hält es mit eisernem Griff fest. Ich bleibe freundlich und lasse mich etwas wider Willen auf eine “Unterhaltung” ein. Lorena hat mittlerweile zu uns aufgeschlossen und die Aufmerksamkeit des Anderen, etwas jüngeren Alkis, auf sich gezogen. “So dürfen wir jetzt bitte weiter?” Ich werde langsam ungeduldig, denn die Situation scheint sich nicht zu entspannen. Im Gegenteil. Die beiden Kirgisen scheinen sich langsam ihrer Überlegenheit bewusst zu werden. Mit hungrigen Blick scannt der Erste das Fahrrad ab und findet, was er sucht: Lorenas Strohhut, der an mein Fahrrad gebunden ist. “Gib mir den Hut!” prabbelt er mit feuchter Stimme, während er wie ein hirnloser Affe und starrem Blick mit der freien Hand auf den Hut zeigt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mir zwei schwankende Betrunkene gefährlich werden können. Und so antworte ich mit einem lauten “NEIN!” Aber unsere beiden Gegenüber lassen sich davon nicht beeindrucken und werden fordernder. Lorena ist nervös, denn der Zweite rückt ihr ziemlich auf die Pelle. Ich versuche das Fahrrad loszureissen. Doch der Kirgise hat mehr Kraft, als ich erwartet habe. Schliesslich schaffe ich es doch. Der Strohhut von Lorena überlebt die Rangelei allerdings nicht. Er bleibt zerknittert und zerissen am Fahrrad hängen. Ich werde laut und fange an zu brüllen. Ich drehe mich um, und will zurück ins Dorf schieben, weil wir dort wohlmöglich sicherer sind, als Lorena brüllt: “TIIIIIMMMMM!!!!” Der Kirgise hinter mir hat einen großen Stein aufgehoben, um ihn nach mir zu werfen. Dass die Situation so aus dem Ruder läuft, hätte ich nicht gedacht. Zum Glück kommt uns der Zweite zur Hilfe und hindert den Vollidioten daran zu schmeissen. Schnell schwingen Lorena und ich uns auf die Räder und fahren mit zittrigen Beinen zurück ins Dorf.
Lorena: Ich bin besonders wütend darüber, dass niemand in das Geschehen eingreift. Mit einem unguten Gefühl setzen wir nach einer Weile unseren Weg fort. Was sollen wir auch anderes tun? Zurück? Warten, dass in dieser Einöde ein Auto vorbei kommt, welches uns mitnehmen kann? Die nächsten Kilometer windet sich die Strasse zum Pass hinauf und in die Einsamkeit. Sollten die Beiden Männer sich in ihrer Ehre gekränkt fühlen und uns verfolgen, um schließlich doch noch die heilige Trophäe – den Marlboro Strohhut – in den Händen zu halten, haben wir schlechte Chancen. So fahren wir, immer wieder in den Rückspiegel schauend, nach oben und sind heilfroh endlich und unversehrt die Kuppe zu erreichen.
Oben! Sollte uns nun noch jemand folgen hat er schlechte Chancen: Ab jetzt geht es bergab!
Eine Jurte im Sonnenlicht
Auf dem Weg in Richtung Gülcho werden wir von einer Horde Schulkinder umringt. Die Jungs positionieren sich für Timm, die Mädchen für Lorena.
Kirgisische Schuluniform: Schwarz-weiß, Schürzen und übergroße "Bommeln" in den Haaren
Kirgisische Bildungspolitik
Das kirgisische Bildungssystem beginnt nach dem Kindergarten mit einer 9- oder 11-jährigen Mittelschulphase. Nach Abschluss des 9-jährigen Zweiges gibt es die Möglichkeit einer praktischen Berufsausbildung oder des Besuchs einer technischen Mittelschule. Die 11-jährige Mittelschulausbildung berechtigt zum Hochschulstudium. Unterrichtssprachen sind in der Regel die Amtssprachen Russisch und Kirgisisch, wobei im Gegensatz zu anderen Staaten der postsowjetischen Region Russisch noch eindeutig überwiegt. Nur etwa 13 Prozent der vorhandenen Studienplätze sind gebührenfrei und werden aus dem Staatshaushalt finanziert. Für die restlichen Studienplätze werden Studiengebühren erhoben, die je nach Universität pro Jahr zwischen 15.000 Som (Mindestgebühr an staatlichen Universitäten, umgerechnet etwa 300 Euro) und maximal 232.00 Som (umgerechnet etwa 3.800 Euro) liegen.
Die Qualität der schulischen und universitären Ausbildung ebenso wie das allgemeine Bildungsniveau haben seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erheblich gelitten. Dies liegt an den allgemein schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen und der daraus resultierenden strukturellen Unterfinanzierung des gesamten Bildungssystems. Die offiziellen Gehälter für Lehrer und Dozenten sind zu niedrig, um den Lebensbedarf zu decken. Daraus resultieren Abwanderung besonders qualifizierter Kräfte ins Ausland oder in die freie Wirtschaft sowie Korruption, die im Bildungsbereich leider weit verbreitet ist. Dies wiederum hat negative Auswirkungen auf die Qualität der Ausbildung. Geld für Renovierungen und Neuausstattungen steht in der Regel nicht zur Verfügung. Ländliche Gebiete sind besonders betroffen. (Infos: Webseite des Auswärtigen Amts).
Hausbesuch
Auch in Kirgisistan kommt es vor, dass man in besiedelten Gebieten keinen ruhigen Schlafplatz findet. So fragen wir kurzerhand bei einer kleinen Bauernsiedlung an. Und siehe da: Freundlich werden wir von drei Jungen zielsicher auf deren Kuhwiese geführt. Scheinbar sind wir nicht die Ersten, die hier um Asyl gebeten haben!
Der Älteste spricht ein wenig Englisch, was hier in Kirgisistan nicht besonders oft vorkommt, und eine Verständigung sehr erleichtert. Wir werden sehr freundlich und offenherzig zu Tee und Brot in das spährlich eingerichtete Lehmhaus eingeladen. Die Großmutter liegt zusammengekauert auf ein paar Decken am Boden, den Kopf mehrlagig eingewickelt in ein dickes Tuch. Wir vermuten Zahnschmerzen – doch genau herausfinden können wir es nicht. Während wir uns mit den Jungs über die Tiere Kirgisistans austauschen, sie die Bilder auf unserer Kamera begutachten, stillt die Mutter plötzlich vor unseren Augen den Kleinsten, was uns in dem sonst eher “verhüllten” Kirgisistan wirklich überrascht.
Die Jungs sind sichtlich traurig, als wir am nächsten Morgen unsere sieben Sachen packen. Der Älteste bittet uns mehrmals: “Zavtra, zavtra” – “Morgen”, doch wir wollen nicht zu spät an der so pingelichen chinesischen Grenze ankommen. Es werden noch kleine Geschenke verteilt: Ein Edding. Kekse. Ein Blinklicht für das Fahrrad. Unser zweites Bildwörterbuch für den Kleinen. Die Freude darüber ist riesig. Ein bisschen wehmütig fahren wir davon, denn gerne würden wir den Jungs nach unserer Rückkehr nach Deutschland etwas zuschicken. Obwohl der Älteste uns eine Adresse aufgeschrieben hat, zweifeln wir daran, ob diese richtig ist.
Seit Langem zelten wir mal wieder "unter Leuten".
Es ist immer wieder schön zu sehen, wie sehr sich Kinder von unserem Reiseequipment begeistern lassen!
Besonders der Kleinste der Familie ist ein süßer Schelm
Und zeigt uns, von seinen älteren Brüdern dazu "dressiert", dass er schon mit 1 1/2 Jahren Liegestütz kann. Genial!
Hohe Pässe und wie man sie umgeht
Von Gülcho sind es noch 170 Kilometer und drei Pässe bis zur chinesischen Grenze. Die Strasse ist gut. Asphalt. Nach dem Schotter der letzten Wochen rollt es sich hier fast von alleine. Trotzdem sind unsere Beine schwer und unsere Körper erschöpft. Das ewige Rauf und Runter hat unsere Kraft-Reserven geschröpft. Als plötzlich neben uns ein Kleintransporter sein Tempo reduziert und ein französicher Radfahrer uns freundlich fragt: “Wollt ihr zum Pass mit hochfahren?” fällt uns die Entscheidung nicht schwer. Schwupp sind wir drin und in rasantem Tempo geht es hinauf. Ein bisschen faul kommen wir uns schon vor, als wir am Pass aus dem Auto springen und nun von oben auf die steilen Serpentinen herunter blicken.
Nach einer kurzen, sehr kühlen Abfahrt folgt ein zweiter Pass. Ein Wunsch vieler Rad-Reisender ist es über den berüchtigten und landschaftlich wohl traumhaften Torugart Pass nach China einzureisen. Doch die chinesische Regierung erschwert einem dies durch kostspielige Regelungen, so dass wir uns für die zweite Möglichkeit, den bürokratisch einfacheren Irkeshtam-Pass entschieden haben.
Torugart hin oder her: Als wir über die Kuppe des zweiten Passes spähen und die schneebedeckte Gipfelkette des Pamirgebirges vor uns erblicken, glauben wir, das hier steht ihm in Nichts nach: Die 7000 Meter hohen Berge blicken wie Riesen auf uns und das kleine Dorf Sary-Tash hinab. In ihrem Angesicht vergisst man beinahe, dass man sich bereits auf einer Höhe von 3000 Metern befindet, da sie immer noch gigantisch wirken.
Geschummelt: Die Serpentinen, die hinauf zum ersten Pass führen, haben wir mit maschineller Hilfe bewältigt.
Eben noch im T-Shirt - jetzt in voller Wintermontur. Auf dem Pass weht ein eisiger Wind und der Schnee ist zum Greifen nah
Immer wieder sind wir gespannt, welche Aussicht ein Pass für uns bereit hält: Diese gehört zu unseren absoluten Highlights!
Auf der Suche nach einem Zeltplatz. Wichtigstes Suchkriterium: Eine gute Sicht auf die grandiosen Berge!
Innehalten. Mit Blick auf den 7134 Meter hohen Lenin Peak, scheint hier die perfekte Stelle für unser Zelt gefunden.
Oberhalb der Kleinststadt Sary-Tash schlagen wir unser Zelt auf
Verzweifelt versuchen wir in eisiger Kälte unseren Kocher zum Laufen zu bringen. Doch die Düse ist dank verbleitem Benzin verstopft. Grrrr.
Da bleibt uns trotz kalter Temperaturen nur Kaltnahrung wie geräucherter Käse und lauwarmer Kartoffelbrei. Lecker.
Sary-Tash
Die Siedlung auf 3200 Metern ist eher ein Durchgangsort, für Reisende und Trucks, die sich auf dem Weg nach China oder Tadjikistan befinden. Eine Tankstelle, an der Weggabelung. Einige “Hotels” und ein paar winzige Lebensmittelläden. Wir gönnen uns, nach dem gestrigen Versagen unseres Kochers noch ein warmes Mittagessen, währenddessen wir unsere GPS-Batterien aufladen und die verstopfte Kocherdüse reinigen.
Kleines Nest vor riesigen Bergen: Sary-Tash
Nach dem verzweifelten Versuch Brot zu finden, kommen wir erst am Nachmittag aus Sary-Tash los.
Kaum zu erkennen: Vor den Schneegiganten wirken die Jurten winzig
Und die Tage werden nun wieder kürzer, so schlagen wir schon bald darauf unser Zelt auf.
Am nächsten Tag folgen wir der schnurrgeraden Strasse in Richtung Irkeshtam-Pass und chinesischer Grenze. Wie man sieht ist Vorsicht geboten: Immer wieder rasen monströse Trucks an uns vorbei.
Es fällt schwer geradeaus zu schauen: Die Berge ziehen uns in ihren Bann.
Am Irkeshtam-Pass: 3723 Meter.
China, wir kommen!
Am liebsten würden wir gar nicht weiter fahren: Ein letzter Blick auf die schneebedeckten Berge, bevor es hinunter geht.
China liegt nun in greifbarer Nähe: Unsere letzte Nacht auf kirgisischer Seite 10km vor der Grenze
Am Morgen ist frühes Aufstehen angesagt, da wir die Öffnungszeiten der chinesischen Grenze nicht kennen. Doch Lorena findet den Ausgang aus ihrem Schlafsack nicht.